Rückblick

Mein letzter Trauer-Beitrag liegt ca. ein Dreiviertel Jahr zurück. Heute habe ich das Bedürfnis noch einmal etwas für euch zu schreiben.
Ich hatte den Beitrag ja mit großen Plänen geendet, doch nein, da ist nicht viel draus geworden.

Ich habe so weiter gemacht wie zuvor, mit Auf und Abs, mit Höhen und Tiefen und war auch weiterhin im „Es muss weiter gehen“ im „Überlebens-Modus“.

Der Rückschlag

Im November ist dann eine Freundin verstorben. Der Ehemann war von Kindheit an der beste Freund meines Mannes, ist Patenonkel meiner Tochter und ich bin Patentante seines zweiten Sohnes. Auch seine Frau hat den Kampf gegen den Krebs verloren, hatte ebenfalls Darmkrebs, wie mein Mann. Allerdings hatte sie eigentlich noch Hoffnung auf Genesung.

Das hat alles wieder hoch geholt. Der Schmerz hat wieder voll zu geschlagen, Trauer um Klaus, Trauer um Heike und auch mittrauern mit unserem Freund und der Familie.

Dann die Angst vor der Beerdigung in Holten, da wo wir einige Jahre gelebt haben, da wo Klaus gestorben ist. Nein, ich habe es nicht fertig gebracht an unserem ehemaligen Haus vorbei zu gehen, aber die Beerdigung war dann doch nicht so schlimm wie befürchtet.

Es war im Gegenteil sogar schön, einige ehemalige Bekannte und Nachbarn wieder zu treffen, in der Familie von Heike so herzlich willkommen gewesen zu sein. Wieder einmal hat sich gezeigt, die Angst vorher ist oft schlimmer als das Ereignis selbst.

Gleich danach habe ich Corona bekommen und mir ging es auch körperlich richtig schlecht.

Sylvester/Neujahr

Die Zeit des Nachdenkens und auch ich habe nachgedacht. Nein, so wollte ich nicht weitermachen. Überlebt hatte ich, jetzt galt es zu leben und ich habe mir Gedanken gemacht, was ich ändern muss, um das zu erreichen. Hoch motiviert habe ich begonnen und ja, ich verrate es euch schon hier, es ist mir gelungen und ich fühle mich wie befreit.

Neubeginn

Bewusstmachen

Das habe ich Silvester/Neujahr gemacht: So wollte ich nicht mehr weiter machen. Es war gut so wie es war, aber jetzt wollte ich einen neuen Lebensabschnitt, wollte ich die Trauer loslassen.

Mir ist bewusst geworden, dass ich mich auch mal gerne hinter meiner Trauer versteckt habe und das will ich nicht mehr. Ja, ich habe genug getrauert, ich will und darf jetzt leben. Dabei ist mir natürlich klar, dass es trotzdem Momente geben wird, in denen mich diese nochmal wieder einholt und das ist völlig in Ordnung.

Beim Bewusstmachen bin ich auf drei Schlüssel für die Veränderung gestoßen: Stolz, Dankbarkeit und Selbstliebe.

Stolz

Beim Rückblick ist mir noch einmal bewusst geworden, was ich alles geleistet habe. Ich habe die Zeit der Krankheit mit meinem Mann durchgestanden, habe es geschafft, ihn bis zum letzten Moment zu begleiten und eine sehr schöne Trauerfeier zu organisieren.

Ich habe es geschafft, mich in meiner Trauer nicht zu verkriechen, habe weiter gemacht.
Ich habe den Hausverkauf, den Umzug gestemmt und ich habe es geschafft, hier in meinem neuen Zuhause anzukommen.

Ich bin auf die Menschen hier zugegangen – was mir als eigentlich schüchterner Mensch nicht wirklich leicht gefallen ist – und ja, ich bin Teil verschiedener Gruppierungen und fühle mich dort wohl.

Wow, ja, ich habe Enormes geleistet und ja, ich kann darauf stolz sein und ja, ich bin es auch!

Dankbarkeit

Neben dem Stolz ist da ganz viel Dankbarkeit. Dankbarkeit, dafür, dass ich die Kraft dazu hatte, Dankbarkeit, dass sich Vieles einfach glücklich gefügt hat.
Dankbarkeit für die Menschen, die mich unterstützt haben und die mich hier aufgenommen haben.

Dankbarkeit, für das was war, für die Zeit mit Klaus und Dankbarkeit dafür, dass ich mein Leben jetzt auch alleine positiv gestalten und genießen kann. Dankbar, dafür, dass ich mir endlich hierfür aus vollem Herzen, die Erlaubnis gebe.

Selbstliebe

Der dritte Schlüssel, den ich vielleicht ein Leben lang vernachlässigt habe. Meist waren mir andere wichtiger als ich.

Doch es hat nichts mit Egoismus oder Eingebildetheit zu tun, wenn man sich selber liebt! Jeder Mensch ist wert, geliebt zu werden und deshalb sollten auch oder vor allem, wir uns lieben.

Mit dieser Einstellung ist mir auch der Schritt zu einem gesünderen Leben gelungen.

Mit der Einstellung: „Ich bin es wert, gut für mich zu sorgen“, fällt es mir leichter für mich zu kochen und das Essen zu genießen. Kochen ist jetzt keine lästige Notwendigkeit mehr, sondern macht mir wieder Freude.

„Ich bin es wert, dass ich auf meinen Körper achte, bin es wert, dass ich mich verwöhne.“ JA!!!

Wie ist mir das gelungen?

Es war jetzt wichtig von den Gedanken ins Handeln zu kommen. Das wollte ich über Dokumentation versuchen.

Journale aller Art boomen ja gerade und eines hatte ich auch schon – eher erfolglos ausprobiert. Auch das mit den „schreibe drei Positive Dinge des Tages auf“, war nicht so ganz meins. Also habe ich mein eigenes Journal kreiert und war da flexibel, habe immer mal nachgebessert, verändere auch jetzt immer noch und ja, es hilft mir am Ball zu bleiben!

Mein Journal ist zunächst unterteilt in Körper und Seele.
Körper:

  • Trinkstatistik: Mit Hilfe einer App kontrolliere ich, ob ich ausreichend Flüssigkeit zu mir nehme
  • Alkohol: Es fällt viel leichter hierauf zu verzichten, wenn man weiß, dass man es ansonsten eintragen muss 😉
  • Frisches Obst: Es stand schon lange auf dem gedanklichen Plan, jeden Tag Obst zu essen, aber durch das Aufschreiben funktioniert es auch endlich
  • Bewegung: Tja ich bin eher faul, was Gymnastik angeht, aber ich mache gerne lange Spaziergänge. Inzwischen habe ich aber auch ein paar Bauch- und Rückenübungen gefunden, die man im Sitzen oder einfach im Stehen vor dem Fernseher machen kann. Auch mein Line Dance zählt natürlich dazu und kommt in diese Spalte. Ebenso die ausgedehnten Spaziergänge
  • Keine Schokolade: Ich war/bin da so eine kleine Süchtige. Sobald Schoko im Haus ist, muss sie vernichtet werden. Inzwischen schaffe ich es aber – worauf ich besonders stolz bin – nach ein oder zwei Pralinen aufzuhören! Den Punkt habe ich inzwischen entfernt. Denn zwei Pralinen für die Seele sind ja in Ordnung und kommen in eine andere Spalte.

Seele:

  • Gespräch: Klingt vielleicht komisch, aber als nicht berufstätiger Single, gibt es tatsächlich Tage, wo man mit niemanden ein Gespräch führt. Um so wertvoller, sind dann die guten Gespräche, an die ich mich so erinnere.
  • Gruppenaktivität: Nicht nur die regelmäßigen Sachen wie Chor und Line Dance, sondern auch andere Aktivitäten kommen hier rein.
  • Singen: Ja, ich singe gerne und singen hebt bei mir auf jeden Fall die Stimmung. Warum also tue ich das nicht einfach jeden Tag? Keine Ahnung! Oder ja, vielleicht, war da im Unterbewusstsein diese Hemmschwelle, die mir ein Glücklichsein noch nicht so ganz erlauben wollte.
    Nun klappt es :-).
  • Mir Gutes tun: Vielleicht der wichtigste, aber auch schwierigste Punkt, etwas, das mir schon vor langem eine Trauerbegleiterin empfohlen hatte.
    Ja, ich bin es mir wert, mir Gutes zu tun. Das kann ein besonderer Spaziergang sein, Kerzengemütlichkeit, eine Schönheitsmaske, zwei Pralinen, ein Stadtbummel, das Lesen eines schönen Textes, Musik…
    Es hat sich inzwischen bewährt, sich das morgens schon zu überlegen.

Das alles aber nicht mit Druck oder Zwang, sondern einfach nur um sich manches bewusster zu machen. Mal nicht bewegt, sondern nur auf der Couch gegammelt? Voll in Ordnung. Ja, ich habe mich an dem Tag vielleicht bewusst dafür entschieden, dass es mir auch mal gut tut.

Einen Tag mit niemanden geredet? Ja, auch das eine bewusste Entscheidung. Es gibt Menschen genug, die ich hätte anrufen können. Es hätte Möglichkeiten für ein Gespräch gegeben, also alles gut, wenn man sich das einfach so nochmal bewusst macht.

Das Tagebuch

Nein, es ist eher ein Wochenrückblick, in dem ich aufschreibe, was mir in der Woche besonders Schönes wiederfahren ist und das können auch Kleinigkeiten wie ein wunderbarer Sonnenuntergang sein. Hier kommt dann wieder die Dankbarkeit. Und ich schreibe auf, was ich geleistet habe, worüber sich dann mein Stolz freut.

Hindernisse

Da gibt es dann noch das spannende Kapitel, in das kommt, was mich genervt hat, was schief gegangen ist und woraus dann doch etwas Gutes geworden ist. Ein Beispiel hierzu: Ein Sonntag und ich bin richtig gut drauf, mache einen ausgedehnten Spaziergang in der Sonne, singe vor mich hin und fühle mich rund herum wohl. Aus heiterem Himmel macht mein Kreislauf schlapp und ich schleppe mich mühsam nach Hause und frage mich: „Verdammt, warum muss das jetzt sein, wo es mir endlich mal gut geht?“.

Fast Zuhause treffe ich auf eine sehr liebe Nachbarin, die gerade von einer Veranstaltung zurück kommt und wir haben ein wunderbares intensives Gespräch. Das hätte ich nicht gehabt, wenn ich in meinem Tempo durchmarschiert wäre…

Ok, es gab auch so einige blöde Situationen, wo ich nichts Gutes gefunden habe, aber ich denke mir dann einfach, für irgendwas wird es schon gut gewesen sein.

Wie hat sich mein Leben verändert?

Ich bin viel positiver unterwegs, hatte sogar den Mut eine neue große Aufgabe anzunehmen. Ich passe auf mich auf, koche liebevoller für mich und geniesse das Essen, lebe viel bewusster, lebe gesünder und freue mich noch mehr über Kleinigkeiten.  Ja, ich kann sagen, der Sprung vom Überlebens- in den Lebensmodus ist mir gelungen. Wieder etwas auf das ich stolz und wofür ich dankbar sein kann.

Natürlich gibt es auch Tage, an denen ich nicht gut drauf bin, alles andere wäre nicht normal, aber dann kann ich den nächsten Guten um so mehr genießen. Auch die Trauer holt mich immer mal wieder ein, wie die Tage, als plötzlich und unerwartet der Palliativarzt meines Mannes in den Nachrichten auftauchte. Aber das ist in Ordnung, das sind nur Momente und das sind Zeichen der Liebe und ich kann das annehmen und die Trauer dann auch liebevoll wieder gehen lassen.

Ja, ich freue mich, dass es mir gelungen ist, ganz bewusst diesen Schalter umzulegen. Für mich ein wichtiger und guter Schritt.

Leben, ich komme, oder nein, Leben ich bin wieder da, vielleicht sogar mehr als vorher!

Nachsatz

Puuh, ein so positiver Bericht, passt das hier in diese Kategorie? Passt das, wenn Menschen das lesen, die gerade noch mitten in der tiefen Trauer stecken?

Ich finde ja. Denn vielleicht macht es ein wenig Mut, dass der Schmerz wirklich irgendwann weniger wird, ein Leben ohne den Herzensmenschen irgendwann gelingen kann!

Zum anderen, gibt es vielleicht Menschen, die mich hier begleitet haben und gerne wissen möchten, wie es mir aktuell geht und die sich hoffentlich über diesen positiven Artikel freuen!