70 Jahre Grundgesetz, verabschiedet hier in Bonn. Ein Anlass stolz zu sein auf die Grundfeste unserer Demokratie, aber auch sich der Grundrechte mal wieder bewusst werden zu lassen.
Die Bonner Agentur TrioService GmbH hat dieses Jubiläum zum Anlass einer ganzen Veranstaltungsreihe genommen, den „Bonner Tagen der Demokratie“, gemeinsam mit zahlreichen Unterstützern.
Leider habe ich es selbst „nur“ zum Barcamp Demokratie geschafft. Alle anderen Veranstaltungen waren tatsächlich ausverkauft, am Barcamp hätten noch einige teilnehmen können. Doch auch mit wenigen Teilnehmern kamen 12 Sessions zusammen und es war eine interessante Veranstaltung.
Es wird ja viel über Filterblasen geredet, diese Veranstaltung war eiskalt raus aus meiner Blase, wobei ich davon überzeugt bin, mich mit sehr vielfältigen Menschen zu umgeben. Abgesehen von den Veranstalterinnen kannte ich niemanden vor Ort!
Den Ukulele Uwe kenne ich flüchtig von verschiedenen Barcamps, besser würde ich ihn kennen, wenn ich endlich mal in seine Session gehen würde, dazu gibt es inzwischen einen Deal.
Wir zwei waren auf jeden Fall das Twitter-Team. Der Bedarf über Social Media und Demokratie zu sprechen war groß, Twitter aktiv auf dem Barcamp zu nutzen leider weniger. Dadurch ging leider die Vielfalt der Meinungen und Perspektiven verloren. Genau deswegen habe ich gezögert, ob ich einen Beitrag schreibe, denn auch dieser wird nur meine eigene Perspektive widerspiegeln können. Doch ich habe einige Aussagen eingefangen und getwittert, diese kann man mal diskutieren.
Besucht habe ich 3 Sessions:
- „Digitale Demokratie – Wo hilft die Digitalisierung und wo auch nicht?“
- „Social Media in der Demokratie + „Zerstörung der Demokratie“ YouTuber Video von Rezo“
- „Make Regieren great again“
Digitalisierung, Social Media und Rezo-Video
Die ersten beiden Sessions gingen ineinander über und hatten auch eins gemeinsam: Redelisten! Ich kenne dieses Phänomen bisher von den Sitzungen des Berufsverbandes. Dort habe ich ein Zahlenkärtchen gehoben, kam auf die via Beamer einsehbare Liste und wusste, wann ich ans Mikro darf. Ein demokratisches Tool, aber auch ein anstrengendes, wenn die Antwort auf eine Rückfrage nicht zugelassen wird.
Es kamen einige Themen auf, einige davon habe ich in Tweets eingefangen. Diese teile ich jetzt hier mit euch. Wer mag, kann gerne weiter diskutieren.
Klarnamenpflicht und digitaler Ausweis
Anonymität wurde als Ursache für die Verbreitung rechtsradikaler Meinungen und von Hasskommentaren gesehen. Als Lösung sollte jeder unter seinem wahren Namen mit Foto im Netz kommunizieren. Es sollte ein eindeutig identifizierbarer „digitaler Ausweis “ eingeführt werden.
Ich sprach mich klar dagegen aus. Dabei sprach ich lediglich die Vorteile der Anonymität an, welche als Gegenargument auch gut akzeptiert wurden. Menschen mit psychischen Problemen haben die Möglichkeit frei und offen über ihre Schwierigkeiten zu sprechen, ohne, dass andere wissen, wer sie sind. Im Schutz der Anonymität ist das möglich. Ich kenne zahlreiche Menschen, die dafür sehr dankbar sind, auch aus anderen Gründen. Auch Rezo schrieb neulich, dass er dankbar für sein Pseudonym ist, da nach seinem Video „Untergang der CDU“ gegen ihn und seine Familie einige Drohungen eingegangen sind.
Anonymität ist nicht der einzige und möglicherweise auch gar nicht der entscheidende Faktor für Hate Speech und rechte Parolen. Konformität spielt in meinen Augen hier eine große Rolle. Das machen, was andere machen und so dazugehören. Teil einer konformen Gemeinschaft sein. Unterscheidet diese sich optisch kaum, z.b. durch ähnliche Avatare und Pseudonyme, fallen sie weniger als Individuuen auf und verhalten sich entsprechend enthemmter.
Social Media als digitaler Stammtisch
Ich finde das eine interessante These und sie trifft bestimmt auch auf einige Menschen zu. Mit diesen zu diskutieren ist schwierig. Ich persönlich schätze Social Media gerade für die vielfältigen Perspektiven, denen ich so in meinen kleinen privaten Umfeld nicht begegne.
Ist echte Beteiligung möglich?
Ich glaube ja, aber es ist verdammt schwierig. Viele Diskussionen werden schnell persönlich, enden oft mit dem Blockieren. Doch gerade die Diskussion zum Rezo-Video finde ich großartig, auch wenn sie von Seiten vieler Politiker noch besser geführt werden könnte. Das Video hat viele dazu gebracht, ihre Meinung zu äußern. Insbesondere das zweite Video ist beeindruckend, denn hier vereinen sich viele YouTuber zu einem gemeinsamen offenen Brief:
Egal, ob für oder gegen die CDU, jeder kann über alle Medien die eigene Meinung vertreten und sich an dieser Diskussion beteiligen, ob per Video, Tweet, PDF, Blogartikel, Podcast, FB-Status, etc …
Die Politiker müssen hier noch viel lernen, darin herrschte in der zweiten Session fast Einigkeit. Eine Dame, die von sich sagte, sie sei viel älter als sie aussehe, hat keinen Zugang zum Internet und legt Wert darauf, ihre Medien zu behalten. Ja, es braucht beides. Vielleicht irgendwann nicht mehr, aber derzeit werden nicht alle Menschen über ein Medium erreicht und das gilt es klar zu berücksichtigen.
Nutze niemals Wikipedia
Vor vielen Jahren erhielt ich einen ähnlichen Rat: Nimm nicht Wikipedia als Quelle!
Dieser Rat erweitert sich auf eine sehr sinnvolle Empfehlung: Lies ruhig erst mal auf Wikipedia. Dort ist es oft verständlich erklärt. Doch verlass dich nicht alleine darauf (gilt auch für Blogbeiträge und andere Internetseiten). Steht unter dem Beitrag gar keine Quelle, sei besonders skeptisch. Prüfe die Aussage, zieh mehrere unabhängige Quellen heran.
Hör den Menschen im Netz zu
Was soll ich sagen, zuhören ist immer eine gute Idee!
Hier gilt es zu filtern, welche Aussagen ernst gemeint sind. Doch auch hinter Hass und Hetze stecken Gründe, die es politisch aufzufangen gilt, auch wenn eine sachliche Diskussion nicht möglich ist. Die Menschen mit ihren Sorgen und Ängsten gilt es ernst zu nehmen. Was steckt wirklich hinter ihrem Hass?
Gegen den Hass
Es gibt zahlreiche Möglichkeiten Hass und Beleidigungen zu melden und Strategien dagegen vorzugehen. Den Tipp im Tweet habe ich ungesehen aus der Session geteilt.
Großartige Arbeit leistet der ehrenamtliche Verein #IchBinHier. Die Aktionen werden über eine Facebook-Gruppe organisiert. Ehrlich gesagt, war ich eine Zeit lang Teil der Gruppe, aber es ist gar nicht so einfach sich aktiv zu beteiligen und sich mit einem Klarnamenprofil dem Hass in Kommentarspalten zu stellen. Ich konnte es damals nicht.
Meinungsbildung oder Bestärkung der eigenen Meinung?
Du findest zu jeder Meinung im Netz mindestens eine Person, die diese teilt. Du findest auch ganz bestimmt Belege dafür, ob diese wahr sind, bleibt dann zu prüfen. Bestärkung funktioniert sicher wunderbar, wenn du die Menschen, mit denen du dich vernetzt, entsprechend auswählst. Es liegt in deiner Verantwortung, den Blick offen zu halten und dir auch andere Meinungen anzuhören. Ich habe in dieser Hinsicht soziale Netzwerke als Bereicherung erlebt, auch wenn ich den Risikofaktor ganz klar sehe.
Social Media ist nur ein Teilbereich der Digitalisierung
Ich fand es gut, als jemand die Begriffe Digitalisierung und Social Media klar einordnete. Die anschließende Diskussion, dass Deutschland sich im Bereich Digitalisierung abhängen lässt, war spannend. Insbesondere da eine Teilnehmerin kürzlich selbst in China war und von den allgegenwärtigen Überwachungskameras berichtete, so wolle sie nicht leben.
Zu welchem Preis wollen wir Digitalisierung ?
In welchen Bereichen wollen wir an der Spitze dabei sein? Totale Überwachung?
Zur Thematik, dass wir unsere digitale Zukunft selbst gestalten müssen habe ich bereits im Zusammenhang mit der #Digital2018 und dem #BIZBonn18 geschrieben. Mein Hashtag-Vorschlag dazu ist #DigitalRealZ.
„Wählt nicht …“ – Ist das Hetze?
Diese Frage stand im Zusammenhang mit Rezos CDU-Video (falls es jemand noch nicht kennt).
Meine Haltung dazu ist: NEIN. Er begründet ausführlich, warum er es für nicht empfehlenswert hält, diese Partei zu wählen. Und es ist eine Empfehlung, kritisch sehen kann man dies im Kontext seines Status und seiner Reichweite. Hierzu hat Christian Solmecke ein interessantes Video gedreht, indem er auch die ersten Reaktionen auf das Video gut zusammen fasst.
Medienvielfalt ergibt auch Themenvielfalt
Unser Moderator der Session fragte:
Welche Partei hat das Prinzip Social Media verstanden?
Der Junge Mann neben mir und ich sagten zeitgleich:
Die Partei
War wohl die falsche Antwort, gemeint war die Afd. Aber hat die Afd es wirklich verstanden? Als Vorbild würde ich sie auf keinen Fall anführen.
Ich bin auf jeden Fall gespannt, wohin die Entwicklungen führen werden.
Meinungsfreiheit gilt für alle
Ich kann die Aussage eines Teilnehmers gut nachvollziehen, dass er keine Lust hat sich Kommentare von Rechten durchzulesen und dorthin zu gehen, wo diese sich rumtreiben. Ich gab allerdings zu bedenken, dass man nicht zu denen gehen braucht, sie finden dich und bringen dir ihre Kommentare.
Der Grat zwischen blöden Meinungen und Rechtsverletzungen ist manchmal schmal, aber auch Menschen mit blöden Meinungen dürfen sie äußern, sofern sie nicht gegen geltendes Recht verstoßen und da muss man tatsächlich leider eine Menge Scheiss lesen, wenn man ihn nicht blockiert. Auch das ist Demokratie. Es gibt Meinungen, die einem nicht gefallen und das bezieht sich nicht nur auch rechtspopulistisches Gedankengut.
Wahlrechtsreform nach Volker Best
Die dritte Session nach der Mittagspause war anders. Es gab einen vorbereiteten Vortrag zu einer Idee, die wir anschließend diskutiert haben.
Volker Best ist Politikwissenschaftler an der Uni Bonn und nachdem die Regierungsbildung nach der Bundestagswahl 2017 einen Rekord in der Dauer aufgestellt hat, entwickelte er eine Idee einer Wahlrechtsreform, um genau dieses Problem zu verhindern.
Die Idee basiert darauf, dass die Parteien bereits vor der Wahl angeben mit wem sie eine Regierung bilden würden. Er nennt es „Verhältniswahl mit Mehrheitsbonus“.
Ich gebe die Idee wieder, wie ich sie verstanden habe. Es ist durchaus möglich, dass ich sie missverstanden habe oder wichtige Details fehlen. Wer sich für das Thema interessiert, schaue bitte unbedingt auf seiner Mitarbeiterseite bei der Uni Bonn vorbei. Dort gibt es eine Liste seiner Publikationen und seine Kontaktdaten für Fragen.
Die Parteien bilden vor der Wahl Blöcke, wer mit wem regieren würde. Diese stehen auf dem Wahlzettel. Gewählt werden wie bisher einzelne Parteien. Der Block mit den meisten Wählerstimmen darf regieren. Als Hürde werden mindestens 40% der Wählerstimmen benötigt.
Anschließend erhält dieser Block 51% der Sitze, die proportional zu den Wählerstimmen aufgeteilt werden. Die übrigen Parteien verteilen sich über die restlichen 49%. Die bisherige 5%-Regelung muss in diesem Kontext neu diskutiert werden, fallen gelassen oder gesenkt werden.
Im Anschluss haben wir noch nachgefragt, was passiert, wenn die 40% nicht erreicht werden. Dann müssen die Parteien sich erneut untereinander absprechen und eine regierungsfähige Mehrheit finden. Ich weiß leider nicht, was passiert, wenn der Block mehr als 51% der Wählerstimmen für sich gewinnen kann, vermute, dann entfällt der Mehrheitsbonus und die Sitze werden nach dem Verhältnis aufgeteilt.
Ich sehe diese Idee sehr kritisch, da ich das Verhältniswahlrecht mit einer klaren Repräsentation sehr schätze. Ich weiß, dass es aktuell auch nicht perfekt ist mit den Überhangmandaten. Es ist nach diesem Modell durchaus denkbar, dass die gesamte Opposition mehr Wählerstimmen (bis zu 60%) erhalten könnte, aber mit weniger Sitzen im Bundestag sitzt.
Fazit und Ausblick
Es war ein kleines feines Barcamp mit interessanten Diskussionen. Ich habe mich „anders“ gefühlt, „digitaler“, das war seltsam und ungewöhnlich für ein Barcamp, aber auch sehr spannend. Mir begegneten teilweise Perspektiven und Meinungen, die ich nicht teile. Das empfinde ich als wichtig und wertvoll. Der Umgang miteinander fand auf Augenhöhe und mir Respekt statt!
Es wird sehr wahrscheinlich ein zweites Barcamp DemokratieBonn geben!
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