Viele Angehörige haben Angst vor diesem letzten Moment. Es kommt etwas auf einen zu, das man nicht kennt. Man weiß nicht, was einen erwartet. Wird es ein Kampf, wird es ein friedliches einschlafen? Was macht das mit einem selbst, den Herzensmenschen endgültig loszulassen? Was muss man dann tun? Soviele Fragen und meist ist keiner da, mit dem man darüber reden kann.
Meine Erfahrung im Altenpflegeheim
Während meiner Tätigkeit im sozialen Dienst eines Altenpflegeheimes habe ich einige Menschen intensiv in der letzten Lebensphase begleitet. Oft sind sie dann während der Nacht friedlich eingeschlafen.
Die meisten Menschen im Altenpflegeheim sind bereit zu sterben. Auch, wenn sie versuchen noch das Beste aus der verbleibenden Lebenszeit zu machen, wissen sie, dass hier nun ihre letzte Station ist und oft ist die Sehnsucht nach dem Tod groß.
Mehrmals war ich beim letzten Atemzug dabei. Das war für mich jedes Mal ein ganz besonderer Moment. Ja, ich war traurig, aber auch dankbar für denjenigen, der es nun geschafft hatte. Dabei sein zu dürfen, war für mich ein großer Vertrauensbeweis, ein Geschenk, denn Geburt und Sterben sind wohl die intimsten Momente, die es im Leben gibt.
Die meisten sind friedlich und kaum wahrnehmbar eingeschlafen. Manchmal gab es jedoch auch diesen besonderen Moment, wo der Blick in die Ferne ging und ein Strahlen sich im Gesicht ausbreitete. Dann hatte ich das Gefühl, da wird jemand abgeholt.
Doch zweimal habe ich auch den Kampf erlebt, das Wehren, das Luftschnappen. Ja, das ist dann tatsächlich schwer auszuhalten, aber der Gedanke, dass man wenigstens durch das nicht Alleinlassen ein wenig Beistand geben kann, hilft dann auch. Bei Beiden wusste ich aber auch, dass da noch etwas Ungeklärtes mit der Familie im Raum stand.
Meine Erfahrung im privaten Umfeld
Da war zunächst mein Opa, der vor 38 Jahren im Krankenhaus verstorben ist. Wir wussten, dass es nur noch eine Frage von Tagen war und wir waren abwechselnd bei ihm. Interessanterweise unterscheiden sich hier aber die Erinnerungen. Meine Mutter erzählt die Geschichte anders.
In meiner Erinnerung ist Opa verstorben während ich im Krankenhaus war und nur mal kurz das Zimmer verlassen hatte. Etwas das übrigens sehr häufig vorkommt. Viele Sterbende können einfach nicht gehen, solange Angehörige dabei sind, deshalb sollte man sich in einem solchen Fall niemals Vorwürfe machen!
Dann ist im August 1992 meine Oma verstorben. Sie lebte seit einiger Zeit bei meinen Eltern und auch hier war das Ende absehbar. Deshalb war ich für einige Tage dort, um meine Mutter zu unterstützen. Oma ist in unser beider Beisein kaum wahrnehmbar gegangen.
Mein Schwiegervater war dement und hat die letzten Monate freiwillig in einem Altenheim verbracht. Irgendwann wollte er nicht mehr, hat sich ins Bett gelegt und nicht mehr gegessen. Nach einer guten Woche hatte er es geschafft und ist ebenfalls in meinem Beisein friedlich eingeschlafen.
Der Tod meines Mannes
Vom Tod des Schwiegervaters hatten wir uns noch nicht ganz erholt, da kam bei meinem Mann die Diagnose Krebs, unheilbar.
Bei seinem letzten Moment, den er zu Hause im Ehebett erleben durfte, waren meine Tochter und ich dabei, die Enkelinnen in der Nähe. Die Zeit kurz vorher war noch eher unruhig. Er wollte nochmal aufstehen um für mich Saft zu kaufen, aber wir haben ihm noch einmal versichert, dass alles gut wäre, dass wir das schaffen würden. So weh es auch tat, wir waren bereit, ihn loszulassen.
Der Atem wurde dann immer flacher, hat mal kurz ausgesetzt, kam dann doch wieder und irgendwann wussten wir dann erst nicht, hat er es wirklich geschafft. Der letzte Moment, der Tod kam dann doch auch hier ganz friedlich.
Was ist danach zu tun?
Nichts! Einfach erst einmal nichts!
Das war das Schöne, da war keiner, der uns bedrängt hat. Da war keiner, der uns gesagt hätte, was wir tun müssten.
Wir waren mit Klaus alleine, wir konnten einfach bei ihm sein, bei ihm weinen, bei ihm Abschied nehmen.
Wichtig nur der kurze Blick zur Uhr. Trotz allen Schmerzes war mir bewusst, dass man uns später nach der Todeszeit fragen würde.
Diese Zeit mit ihm alleine war so wertvoll, so kostbar. Die Enkelinnen kamen dazu und haben auch Abschied genommen. Wir haben zusammen geweint, Erinnerungen getauscht und so auch zusammen gelacht. Irgendwann kam dann der Palliativpfleger, aber das passte dann auch. Er hat sich dann um einen Arzt für den Totenschein gekümmert. Doch das hatte Zeit, der Arzt darf frühestens 2 Stunden nach dem Ableben kommen, bei Morphium-Patienten, wenn ich mich recht erinnere, sogar erst nach 4 Stunden.
Inzwischen hatten wir das Schlafzimmer ein wenig hergerichtet, den Toilettenstuhl entfernt, Blumen und Kerzen aufgestellt. Wir haben das Fenster geöffnet, damit die Seele entweichen konnte.
Als mein Bruder und meine Schwägerin gekommen sind, haben wir am Bett eine schöne kleine Andacht abgehalten.
Danach ist immer jemand im Wechsel zu Klaus gegangen. Ich habe, obwohl ich wusste, dass man das nicht soll bevor der Totenschein ausgefüllt ist, Klaus gewaschen und gecremt und versucht ihm etwas anzuziehen. Letzteres war aber kaum mehr möglich, da die Totenstarre bereits begonnen hatte. Aber mir hat es so gut getan ihm diesen letzten Liebesdienst noch erweisen zu können.
Wir sind sehr dankbar für diesen wirklich schönen Abschied und das hat mir in meiner Trauerbewältigung auch sehr geholfen.
Der Horrormoment – Arzt
Leider war es ein Mittwochnachmittag, damit war der Hausarzt nicht erreichbar. Der Palliativarzt hatte Urlaub, die Vertretung wollte nicht kommen. Also blieb nur der Notdienst, der kaum erreichbar war. Die Ansage, es kann dauern, hat mich nicht gestört. Klar, kein Problem, noch lebende Patienten gehen natürlich vor.
Irgendwann kam dann ein Anruf von einer wütenden Ärztin. Was das denn solle, sie wäre da, aber unser Name stände nicht an der Türe. Bis sie dann gemerkt hat, Hausnummer stimmte, aber sie war in der falschen Strasse. Sie kam dann endlich an – ohne jegliches Mitgefühl – wollte zunächst die Mappe sehen, die vom Palliativdienst geführt wurde. Hiermit war sie völlig unzufrieden. Es gab kein Morphiumprotokoll, die Befunde reichten ihr nicht, also musste ich erstmal nach weiteren Befunden suchen.
Dann wollte sie zu meinem Mann und ich sollte ihr helfen ihn zu drehen und zu wenden. Der Tonfall unmöglich und überhaupt, was für eine Zumutung. Zum Glück kam mir dann mein Bruder zu Hilfe und hat sich erstmal als Kollege vorgestellt. Er hat dann die Aufgabe übernommen und ich war erstmal erlöst.
Mir kam es in dem Moment so vor, als stünde ich unter Verdacht meinen Mann ermordet zu haben und ich war einfach nur froh, als sie den Totenschein ausgestellt hatte und endlich weg war.
Ich bin gar nicht mehr sicher, ob ich den Bestatter schon vorher angerufen habe oder erst danach. Danach ist eigentlich der richtige Weg, denn dieser kann nichts machen, bevor nicht der Totenschein vorliegt.
Doch ich hatte durch die noch nicht lange zurückliegenden Todesfälle meiner Schwiegereltern ja schon einen Kontakt, was es einfacher machte. Auf jeden Fall haben wir den Bestatter zunächst nur über das Versterben informiert und mit ihm abgesprochen, dass wir uns noch einmal melden, wenn wir bereit für die Abholung wären.
Die Bestatter stehen rund um die Uhr zur Verfügung, von daher sollte man sich da auch keinen zeitlichen Druck machen lassen, sondern sich die Zeit nehmen, die man braucht. Wenn man es möchte, darf der Verstorbene auch noch über Nacht bei einem bleiben.
Das wollte ich nicht, aber ein wenig Zeit wollten wir vorher schon noch mit Klaus verbringen. Die Enkelinnen hatten dann noch eine schöne Idee, wie und was sie dem Opa noch mitgeben wollten.
Dann mussten noch Anziehsachen herausgelegt werden, ebenso wie das Stammbuch, Personalausweis und Krankenkassenkarte.
Die Abholung
Der Moment vor der dem meine Enkelinnen die meiste Angst hatten. Wird der Opa etwa mit einem Sack abgeholt wie im Krimi? Ich habe das verneint. Sie kommen mit einem Sarg, doch ganz so war es dann leider nicht. Auf Grund des engen Treppenhauses kamen sie mit einem Klappsarg, der schon mehr so einem Leichensack ähnelte.
Die beiden älteren Männer, die kamen waren sehr nett und einfühlsam. Haben dann auch die Rose, die wir Klaus noch mitgeben wollten noch in den Sarg gelegt.
Unsere Idee, Klaus auf dem Weg nach unten zu begleiten war dann leider nicht so gut. Die beiden Männer waren etwas schwächlich und obwohl Klaus kaum noch etwas wog, sind sie unter der Last fast zusammen gebrochen. Immer wieder wurde der Sarg abgesetzt (wobei absetzen nett formuliert ist). Zum Glück konnten wir das mit Humor sehen. Klaus hatte soviel hoch schleppen müssen, jetzt durfte er sich runter schleppen lassen.
Würdevoller wäre es aber auf jeden Fall gewesen, wir hätten stattdessen unten auf der Strasse gewartet.
Anmerkung
Ich habe euch hier das Vorgehen geschildert, wenn jemand stirbt, bei dem der Tod erwartet wird. Sollte jemand plötzlich und unerwartet versterben, ist die Situation schon schwieriger. Bei einem jungen Menschen sollte man jetzt den Notruf wählen und falls möglich Wiederbelebungsmaßnahmen einleiten.
Schwierig wird es bei einem älteren Menschen, bei dem vielleicht auch noch eine Patientenverfügung vorliegt. Das ist dann sicher eine Gewissensentscheidung. Eine Entscheidung für die man nur wenige Minuten Zeit hat …
Ich habe im Altenheim erlebt, dass der Notarzt bei einem 90-jährigen, der sich verschluckt hatte und daran erstickt ist, Wiederbelebungsmaßnahmen auf dem Fußboden des Speisesaals durchgeführt hat. Das habe ich als sehr würdelos empfunden. Den Notarzt nicht zu rufen wäre jedoch unterlassene Hilfeleistung gewesen.
Hinweise zum Vorgehen im Todesfall habe ich bereits in diesem Artikel gegeben.
Der letzte Moment gehört dir
Es ist etwas Besonderes dabei zu sein, wenn jemand stirbt. Hieraus kann man trotz aller Trauer Kraft schöpfen. Einfacher ist es Zuhause, aber auch im Krankenhaus gehört die Zeit nach dem letzten Atemzug erstmal dir und deinem Herzensmenschen. Lasst nicht zu, dass jetzt irgendjemand Hektik verbreitet, sondern nehmt in Ruhe Abschied und geniesst diese letzte gemeinsame Zeit.