Das erste Mal bin ich zufällig über das Thema „einfache Sprache“ gestolpert, als ich im Anschluss an das erste Bonner Literaturcamp Martin Georgi kennen lernte, der einige Bücher in einfacher Sprache dabei hatte. Ich blätterte in die Bücher hinein, las eine Textstelle vor und war fasziniert von dieser Erzählweise. Bereits damals kam mir die Idee zu der nun endlich startenden Blog-Reihe „Leichter Lesen“.
Analphabetismus
In Deutschland haben wir eine Schulpflicht und in unseren Grundschulen nehmen die Bereiche Lesen und Schreiben einen großen Raum im Lehrplan ein. Es scheint so, dass wir ein flächendeckendes Bildungssystem haben und alle in Deutschland aufwachsenden Kinder lesen und schreiben können sollten.
Sollten und Lehrplan sind die entscheidenden Begriffe. Es ist der Plan, dass alle Kinder lesen können sollten. Doch die Realität sieht anders aus, nicht alle Kinder lernen innerhalb der vier Grundschuljahre sicher lesen. Anschließend wird in allen Schulformen diese Grundfertigkeit vorausgesetzt. Hier ist Sensibilität von Lehrkräften und Eltern gefordert, damit die Kinder noch eine Chance bekommen. In der Zwischenzeit haben die Kinder Strategien entwickelt, ihre Schwierigkeiten zu verstecken und das Lesen zu vermeiden.
Wenn die Lesefähigkeiten nicht den Ansprüchen einer Kultur genügen wird dies als funktionaler Analphabetismus bezeichnet. Es gibt hierzu unterschiedliche Definitionen. In Deutschland wird die Zahl der funktionalen Analphabeten auf ca. 7,5 Millionen Menschen geschätzt. Die Ursachen hierfür sind komplex. Es ist ein Zusammenspiel aus individuellen, familiären, schulischen und gesellschaftlichen Bedingungen, die sich wiederum gegenseitig beeinflussen. Ein ausführlicher Beitrag zu der Frage, warum es so viele Analphabeten in Deutschland gibt, findet sich auf Spektrum.
Was genau bedeutet „Leichte“ oder „Einfache Sprache“?
„Leichte Sprache“ richtet sich an Menschen, die große Schwierigkeiten mit Sprache und oder dem Lesen haben. Es werden nur einfache Worte verwendet, sehr kurze Sätze formuliert und es gibt ein klares großes Schriftbild. Ausführlicher habe ich zum dem Thema bereits geschrieben.
Leichte Sprache soll Menschen mit geringer Lesefähigkeit das Verstehen von Texten erleichtern. (Prof. Christiane Maaß im NDR Interview)
Auf dem Gemeinsamen Referenzrahmen für Sprachen der europäischen Union ist die „leichte Sprache“ der Stufe A1 zuzuordnen. Dagegen ist die „einfache Sprache“ schon etwas anspruchsvoller und liegt auf dem Niveau A2/ B1. Die Sätze sind noch immer einfacher gestaltet, mit einem Maximum von 15 Wörtern etwas länger, als bei der leichten Sprache, die maximal 12 Worte pro Satz vorsieht. Fremdwörter werden auch bei der einfachen Sprache vermieden, oder entsprechend erklärt. Bei einfacher Sprache fällt auch die Prüfung durch eine Referenzgruppe weg, die eine wichtige Bedingung bei Veröffentlichungen in leichter Sprache sind. Der Text wird von mehreren Personen aus der Zielgruppe auf Verständlichkeit geprüft. Dies ist vor allem bei offiziellen Flyern beispielsweise von Behörden sehr wichtig.
Die Bücher in einfacher Sprache erinnern mich an meine Fremdsprachen-Lektüren: Klares Schriftbild, wenig Text auf einer Seite und eben einfacher zu lesen.
Was macht der „Spaß am Lesen Verlag“?
Mein Kooperationspartner für diese Blogreihe ist der „Spaß am Lesen Verlag„, der sich auf Bücher in leichter und einfacher Sprache spezialisiert hat. (Informationen zur Kooperation am Ende des Beitrages)
Lesen für alle
So lautet das Grundprinzip des „Spaß am Lesen Verlages“. Während die Allgemeinheit davon überzeugt ist, dass Menschen, die Schwierigkeiten beim Lesen haben, sich keine Bücher kaufen ist der Verlag davon überzeugt:
Sie kaufen sich keine Bücher, weil sie nicht ahnen: Lesen kann Spaß machen. Sich in andere Welten versetzen zu lassen, zu träumen, zu verreisen ohne das eigene Zimmer zu verlassen. Diese tolle Erfahrung haben sie nie gemacht.
Und genau diese Haltung teile ich. Begegnen wir Menschen mit der Forderung: „Du musst doch lesen können“, begegnen wir ihnen mit derselben negativen Haltung, die sie wahrscheinlich aus ihrer Kindheit kennen. Stattdessen sollten wir ihnen offen begegnen, ihre Bedürfnisse akzeptieren und ihnen die Chance geben den Spaß am Lesen zu entdecken.
Im Verlagsprogramm gibt es unterschiedliche Angebote. Es gibt bekannte Bücher oder Filme, die in einfacher Sprache neu erzählt werden. Die Geschichten werden dabei kürzer. Dies können aktuelle Romane oder auch Klassiker sein. Außerdem gibt es direkt in einfacher Sprache verfasste Bücher, Geschichten direkt aus dem Leben oder auch Krimis. Das Angebot wird stetig erweitert.
Martin Georgi sagte zu mir, es sei möglich, erst einmal mit der Geschichte in einfacher Sprache zu beginnen und sich anschließend vielleicht doch an den dickeren und schwierigeren Original-Roman zu wagen. Daher ist es sehr wertvoll, dass der Verlag beliebte Bücher in einfacher Sprache herausbringt, wie beispielsweise den Titel „Tschick“. Es kann auch helfen vorab den Film gesehen zu haben und anschließend das Buch zu lesen. Entscheidend ist, dass das Lesen mit einer positiven Erfahrung verknüpft wird. Nur so finden Menschen den Mut und auch die Motivation weiter zu lesen und die Welt der Buchstaben für sich zu entdecken.
So vielfältig Menschen mit Leseschwierigkeiten sind, so vielfältig sind auch die Zielgruppen des Verlages: Menschen mit Schwierigkeiten beim Lesen oder mit der deutschen Sprache.
Kleiner Ausblick auf die Blog-Reihe
Zwei Bücher in einfacher Sprache habe ich bereits hier, wie ihr im Beitragsbild sehen könnt:
Ich habe einen Klassiker ausgewählt, den ich zunächst in einfacher Sprache und anschließend in der mir vorliegenden deutschen Übersetzung lesen werde. Anschließend berichte ich über beide Leseerlebnisse und ziehe einen Vergleich. Das zweite Buch ist ein Jugendroman von Marion Döbert, welcher direkt in einfacher Sprache geschrieben wurde. Es wird aber auch jenseits der Buchvorstellungen Beiträge zum Thema lesen und leichter / einfacher Sprache geben.
Meine Beiträge selbst werde ich in meinem üblichen Stil verfassen. In einfacher Sprache zu schreiben ist gar nicht so leicht. Im Rahmen einer Fortbildung habe ich mich mit einer Gruppe mal an einer Übersetzung eines Postillon-Textes in leichter Sprache versucht, wobei Satire natürlich noch einmal eine besondere Herausforderung war.
Mit meinen Beiträgen erreiche ich vor allem Menschen, die bereits gerne lesen. Euch möchte ich für das Thema sensibilisieren und inspirieren. Schaut genauer hin, wenn es in eurem Umfeld Menschen gibt, die gar nicht lesen. Bitte stigmatisiert nicht zu schnell. Es gibt Menschen, die des Lesens mächtig sind, aber wenig Spaß daran haben Romane zu lesen! Doch vielleicht kennt ihr auch Menschen, die Schwierigkeiten haben, die sie zu verstecken versuchen. Menschen, denen ihr Lesefreude schenken könntet.
Hinweis zur Kooperation:
Es handelt sich um eine unbezahlte Kooperation. Der „Spaß am Lesen Verlag“ stellt mir auf Anfrage Rezensionsexemplare und steht mir für Fragen zur Verfügung.