Der TV-Karl ~ Christine Nöstlinger
Der TV-Karl ~ Christine Nöstlinger

Es wird mal wieder Zeit eine Schullektüre zu lesen. Wie bereits bei „Die Vorstadtkrokodile“ habe ich mir den „TV-Karl“ übers Wochenende ausgeliehen.

„Der TV-Karl“ ist ein Kinderbuch von Christine Nöstlinger, erstmals erschienen 1995. Mit lediglich 73 Seiten und Bildern ist es auf jeden Fall eine „nette Schullektüre“. Die guten Lesenden sind schnell durch und diejenigen mit Schwierigkeiten quälen sich nicht so sehr.

Ich war skeptisch

Kann man den Kids von heute überhaupt noch mit TV kommen? YouTube, Netflix & Co lösen aus meiner Perspektive das klassische Fernsehen zunehmend ab. Vielleicht ist es nur bei mir persönlich und in meiner Wahrnehmung meins Umfeldes so, dass dem TV-Programm weniger Bedeutung zukommt.

Daher habe ich mal nach der aktuellsten JIM-Studie (Basisuntersuchungen zur Mediennutzung von Kindern und Jugendlichen) von 2018 gesucht und finde direkt zu Beginn auf der Seite folgende Information:

Der Siegeszug von Netflix und Co. bei den Jugendlichen hält an. Die Hälfte der Zwölf- bis 19-Jährigen schaut regelmäßig Sendungen, Serien und Filme bei Netflix (47 %), jeder Fünfte nutzt Amazon Prime Video (22 %). Damit hat sich der Anteil regelmäßiger Netflix-Nutzer im Vergleich zum Vorjahr fast verdoppelt (2017: 26 %). 

JIM-Studie 2018

Ein Blick in die Studienergebnisse verrät mir, dass tatsächlich noch 48% der 12- bis 19-jährigen regelmäßig lineares Fernsehen direkt sehen, nicht über die Mediathek. 2017 waren es noch 55%.

Ich habe nicht ganz unrecht, dass Interesse am linearen Fernsehen, wie es in der JIM-Studie bezeichnet wird, schwindet. Es spielt allerdings doch noch eine gewisse Rolle im Alltag vieler Kinder und Jugendlicher.

Nur drei Sender …

Der arme Anton im Buch kennt keine Streamingdienste, hat nicht einmal Kabelfernsehen. Das erscheint mir selbst für 1995 schon krass. Vor allem, da der Junge sein eigenes Fernsehgerät im Zimmer hat. Nehmen wir das mal hin, wird es den Kindern von heute sicher nicht leicht fallen, sich vorzustellen, dass diese drei Sender ARD, ZDF und das so genannte Dritte Programm waren und nicht Netflix, Prime Video und YouTube oder ähnliche Dienste mit einem vielseitigen verfügbaren Angebot, welches jederzeit abrufbar ist. Ich selbst kann mir das auch kaum vorstellen …

Der TV-Karl

Der TV-Karl ist tatsächlich ein Kerl im Fernseher. Zufällig entdeckt Anton einen blauen Knopf an seiner Fernbedienung. Mit diesem entdeckt er einen „neuen Sender“. Karl sitzt auf einem Sofa. Karl spricht mit Anton.

Die Geschichte wird in Tagebuch-Form erzählt. Anton berichtet wie er Karl kennen lernt und sich ihre ungewöhnliche Freundschaft entwickelt. Wir erfahren von seinen Problemen in der Schule und mit seinen Eltern, die vor allem miteinander Probleme haben. Karl ist für ihn da …

Es ist eine humorvolle kurze Geschichte über kindliche Probleme, die noch immer aktuell sind.

Ein persönlicher Freund im Fernsehen

Wie wäre es einen persönlichen Freund im Fernsehen zu haben, mit dem man reden kann, einen, der auch erwachsene Ratschläge erteilt? Er erscheint zugleich ein wenig gruselig, so ergeht es auch Anton im ersten Moment, aber auch praktisch.

1995 war es eine phantastische Idee. Doch heute können wir alle digitale Freunde hinterm Bildschirm haben, im Internet. Wir können unsern Lieblingsyoutubern zusehen, sie nehmen uns mit in ihre privaten Wohnbereiche, spielen und quatschen. Wir können ihnen Kommentare da lassen, Fragen stellen, die eventuell in einem Video beantwortet werden. Wir können selbst Dinge ins Netz stellen oder auch direkt mit Menschen kommunizieren, schriftlich, mündlich oder auch per Videochat über unterschiedliche Kanäle …

Doch eins können wir nicht haben: einen eigenen TV-Karl.

Kritik am Buch – SPOILER

Christine Nöstlingers Schreibstil ist eigenwillig und nicht mein Fall. Ich habe schon früher Bücher von ihr gelesen und es ist einfach nicht meine Sprache. Der Stil wirkt auf mich gewollt locker jugendlich. Das ist reine Geschmackssache, schließlich ist sie eine preisgekrönte Kinder- und Jugendbuchautorin.

Was mich am TV-Karl allerdings mehr stört, als ihre Sprache, ist der Eindruck, dass Anton sich nicht weiter entwickelt. Karl ermahnt ihn zwar, weniger Zeit mit ihm zu verbringen und es gelingt ihm, sich mit einem Jungen anzufreunden. Andere Probleme löst Karl für ihn, ohne dass Anton daraus etwas lernen kann. Allerdings rettet Anton auch Karl. Vielleicht ist es eher die Oma, die dafür mehrere Diebstähle begehen muss …

Das Ende erschreckt mich tatsächlich. Offenbar verschwindet er gemeinsam mit seiner Oma im Fernsehn. Welche Botschaft vermittelt das Buch bitte an dieser Stelle? Wenn du es zuhause nicht mehr aushältst, weil deine Eltern sich streiten und vielleicht sogar scheiden lassen, such dir ein neues Zuhause? Ich hätte mir gewünscht, dass der TV-Karl ihn darin unterstützt seine Probleme zu lösen, nicht vor ihnen davon zu laufen!


Der TV-Karl
Christine Nöstlinger
Gulliver, Beltz Verlagsgruppe, 1998
ISBN: 978 3 407 78294 6