Ich kann gar nicht mehr sagen, wer mir diesen Gedanken, die Trauer als Freund zu betrachten, in den Kopf gepflanzt hat. Zunächst erschien er mir auch völlig abwegig.
Aber nein, lasst ihn mal sacken und vielleicht kommt dann auch ihr mit mir zu dem Schluss, doch, der Gedanke hat etwas …
Kampf gegen die Trauer
In der ersten Zeit habe ich mich gegen die Trauer gewehrt. Ich bin ja ich, ich bin stark, ich schaffe das. Ich habe mich ja auch in der Theorie schon mit dem Thema befasst, ich habe ja schon die 15 Monate während der Krankheit meines Mannes getrauert. Nun ist genug.
Ich hatte nach dieser langen Zeit der Krankheit einfach nur Sehnsucht nach normalem Leben, aber die blöde Trauer war da, obwohl ich sie nicht wollte und so habe ich sie als Feind bekämpft.
Ein Kampf, den ich so natürlich nicht gewinnen konnte.
Es stellt sich auch die Frage, ob diese Art von Tapferkeit wirklich ein Zeichen von Stärke ist, oder zeigt es nicht viel mehr Größe, wenn man ehrlich zu seinen Gefühlen steht.
Die Trauer als Freund annehmen
Mir hat dieser Gedanke dann tatsächlich geholfen.
Verholfen zu mehr Ehrlichkeit – mir und auch anderen gegenüber – und vor allem natürlich zur Annahme meiner Situation, zur Änderung meiner Einstellung hierzu.
Ich war so naiv. Da wir eine lange Zeit des Abschiednehmens hatten („Vorweggenommene Trauer“) habe ich mir wirklich eingebildet, dass das meine Trauerzeit auf ein paar Wochen verkürzen würde. Das haben wir auch so in einem Seminar in der Theorie mal diskutiert und beschlossen …
Dadurch, dass die ersten Wochen auch gut liefen, hat mich das in dieser Annahme noch bestärkt.
Heute sage ich, nein, die Trauerzeit ist genauso lang, aber sie ist sicher anders als bei jemanden, der einen plötzlichen Tod verarbeiten muss. Anders sicher vor allem in Bezug auf die Heftigkeit.
Da ist die Trauer also sowieso und wenn ich hier mal aus dem Gelassenheitsgebet zitieren darf:
Gott, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann.
Gelassenheitsgebet, Reinhold Niebuhr
Nur, weil wir sie nicht wollen, geht sie nicht weg und Dinge/Situationen, die wir nicht ändern können, müssen wir annehmen, zu denen können wir dann nur die Einstellung ändern. Genau darum geht es hier.
Mach dir deinen Feind zum Freund.
Was hat sich verändert?
So banal das klingt, ich habe Kraft gespart, Kraft, die man in dieser Zeit ja dringend braucht.
Und es war noch mehr. Es geht nicht nur darum, nicht mehr gegen die Trauer anzukämpfen, sondern man soll sie ja sogar als Freund betrachten und ja, das geht und tut tatsächlich gut.
So habe ich die Liebe zwischen meinem Mann und mir wieder bewusster gespürt und mich tröstend in sie hüllen können.
Doch es ist ein Gedanke, den man zwischenzeitlich immer mal wieder vergisst, den man sich häufiger wieder ins Bewusstsein rufen sollte, der deshalb vielleicht sogar an die Wand gepinnt gehört.
Wieso kann Trauer Freund sein?
Nur wer liebt, kann schmerzhaft verlieren. Nur wer geliebt hat, kann unter dem Verlust leiden. Nur wer die Liebe kannte, kann so richtig von Herzen trauern. So gesehen ist der Schmerz/die Trauer auch ein Geschenk, ein Zeichen der besonderen Verbindung; ein Zeichen, dass diese nicht mit dem Tod abgebrochen, sondern noch immer da ist.
Mit dem Gedanken kann sich die Trauer gaaanz langsam in ein Gefühl der dankbaren Erinnerung wandeln.
Trauer ist auch ein Geschenk, weil sie zeigt, dass wir noch leben, dass wir noch Gefühle haben, dass wir diese zeigen und teilen können. Sie ist ein Geschenk, weil sie Raum für neue Gemeinschaften schenkt durch das Kennenlernen von anderen Betroffenen, denen man viel schneller nahe kommt als sonst Menschen im „normalen“ Leben.
Vielleicht ist sie ja auch ein Gefühl, das uns schützt, uns ein Stück weit abschirmt, das uns hilft von den anderen Toleranz zu fordern und zu bekommen …
Trauer als Freund. Dieser Gedanke ist natürlich kein Wundermittel, das den Schmerz wegzaubert. Freundschaft baut sich auch ganz zart und langsam auf. Erst ist da nur der Gedanke, dass jemand nett ist und man sich vielleicht vorstellen kann, dass sich hier eine Freundschaft entwickeln könnte, dann wird da langsam mehr daraus, begleitet von Rückschlägen.
Ganz wichtig noch der Gedanke: auch mit einem Freund darf man zanken ;-). Somit sind Ausbrüche der Wut, der Verzweiflung, des Wehrens natürlich vollkommen normal und in Ordnung.
Enden möchte ich heute mit einem wie ich finde wunderschönen und hierzu passenden Zitat von Anselm Grün:
In meinen Wunden wachsen die Perlen. Sie können in mir aber nur entstehen, wenn ich mich mit meinen Wunden aussöhne. Wenn ich die Zähne zusammenbeiße, um meine Wunden krampfhaft zu verschließen, kann darin nichts wachsen. …
Aus meinen Wunden wachsen Perlen, Pater Dr. Anselm Grün; der vollständige Text findet sich hier