Sterben Zuhause

Der Jahrestag hat im Moment sehr viel aufgewühlt und besonders die letzten Tage sind gerade wieder so präsent. Daher möchte ich heute ein paar Gedanken zu dem Thema „Ist Sterben Zuhause machbar?“ in den Raum stellen.

Wenn wir gefragt werden, wie wir sterben möchten und wie es sicher in den meisten Patientenverfügungen steht, äußern wir: „Zuhause, im Kreis der Familie.“

Ja, ein schöner Wunsch, aber wie realistisch ist das? Wie kann man das schaffen, wenn der/die Sterbende nicht mehr aus dem Bett kann? Ist man dieser Situation wirklich gewachsen? Den Menschen, den man liebt zu pflegen? Hat man in dieser Ausnahmesituation des Abschiednehmens wirklich die Kraft dafür? Hat man Unterstützung? Wer hilft, wenn der zu Pflegende nachts fällt?

Viele wollen es, genau wie ich, natürlich unbedingt ermöglichen, aber man unterschätzt die Situation leicht. Mit dem Partner alleine, ohne Unterstützung ist es eine echte Herausforderung, vor der ich durchaus Respekt hatte. Es braucht viel Kraft und sicher auch das Wissen um ein paar erleichternde Tricks, einen Menschen, der kaum noch mithelfen kann z.B. vom Bett in den Roll- oder Toilettenstuhl zu schaffen. Es ist nicht einfach einen pflegebedürftigen Menschen im Bett hochzuziehen oder auch nur die Unterlage zu wechseln.
Selbst wenn man einen Pflegedienst hat, der ein oder zweimal am Tag kommt, gibt es Situationen wo man auf den nicht warten will oder kann.
Es ist auch fast unmöglich einen am Boden liegenden kraftlosen Menschen dann alleine wieder hoch zu bekommen.

Lasst euch aber von meinen Gedanken bitte keine Angst machen!
Pflege Zuhause ist sicher machbar, wenn man Hilfe hat auf die man auch kurzfristig zurück greifen kann. Viele machen und schaffen das, also warum nicht auch ihr.
Auch glaube ich, dass man egal in welcher Situation, wenn man funktionieren muss, stärker ist als man vorher vielleicht denkt. Irgendwo hatte ich da das Vertrauen, dass ich nicht nur die Aufgabe, sondern auch die passende Kraft dazu bekommen würde …

Hospiz als Alternative

Ein Hospiz ist sicher eine gute Option. Hospiz bedeutet Herberge oder Gastfreundschaft. Der Hospizgedanke:

Nicht dem Leben mehr Tage hinzufügen, sondern den Tagen mehr Leben geben.

Cicely Saunders

Todkranke Menschen sollen ihren letzten – und oft auch schwersten – Lebensabschnitt in einer würdigen Umgebung verbringen und sich geborgen fühlen. Klingt das nicht wunderbar?

Ist man als Sterbender also dann nicht besser in einem Hospiz aufgehoben, wo man umsorgt wird, jeder Zeit Hilfe da ist und der/die Partner/in sich nur um das Dasein und die Zuwendung kümmern muss?
Wo einem selber erspart bleibt, von dem Menschen, den man liebt gepflegt zu werden?

Ist es für den/die Angehörige nicht einfacher, die Belastung der Pflege nicht zu haben, den Partner gut versorgt zu wissen, selber in der Nacht wieder Kräfte tanken zu können?

Im Rahmen einer Fortbildung hatte ich das Glück ein Hospiz besuchen zu dürfen. Von den Räumlichkeiten und der besonderen Atmosphäre war ich sehr angetan. Ich bin da raus gegangen mit dem Gefühl, ja, hier ist man gut aufgehoben auf seinem letzten Weg, hier würde ich sterben wollen.
Nicht ganz so schön sind meist die Hospizstationen in den Krankenhäusern, aber sicher immer noch eine Option. Ich habe im Bekanntenkreis vor kurzem auch tatsächlich erlebt, dass der Betroffene nicht nach Hause sondern ganz bewusst auf die Hospizstation im Krankenhaus verlegt werden wollte und da dann auch verstorben ist.

Auf jeden Fall ist es eine sehr schwierige Entscheidung, die man zwar andenken, aber nur bedingt im Vorfeld treffen kann.

So war es bei mir

Auch mein Mann wollte Zuhause sterben und ich ihm das ermöglichen. Klaus hat aber auch geäußert: „Wenn du das nicht schaffst, kann ich ja auch in ein Hospiz gehen“ und das war ernst gemeint.

Durch meine langjährige Tätigkeit im sozialen Dienst eines Altenpflegeheim hatte ich mir immerhin ein paar Tricks bei der Pflege abgeguckt. Ich nehme jedoch schonmal vorweg, dass ich es fast nicht geschafft hätte, aber dank Hilfe der Familie doch hinbekommen habe. Mein Scheitern wäre der absolute Albtraum gewesen, weil dann wahrscheinlich auf die Schnelle nur die Option Krankenhaus im Raum gestanden hätte, und da wollte Klaus auf keinen Fall mehr hin.

Ein letzter Urlaub

Ja, ich schweife hier kurz ab, aber ich denke das ist wichtig, um zu verstehen, wie es bei mir war. Denn es kam unerwartet schnell.

Einige haben sich damals sicher gefragt, warum noch ein Urlaub. Doch mein Mann wollte den Urlaub unbedingt. Er hat sehr unter der Coronasituation und dem nicht Verreisen können gelitten. Als es endlich wieder erlaubt war, sind wir kurzfristig am 18. Mai 2020 für ein paar Tage an die Mosel gefahren, die wir sehr genossen haben.

Doch er wollte kurz danach noch einmal weg, wollte noch einmal eine ebenerdige Wohnung mit Garten, um raus zu können (wir wohnten im 2. Stock ohne Fahrstuhl und ohne Balkon). Unsere Wahl fiel diesmal auf Bad Neuenahr. Klaus hatte die Hoffnung, es den kurzen Weg bis an die Ahr noch zu schaffen. Inzwischen glaube ich aber auch, dass er mir die Möglichkeit geben wollte, Bad Neuenahr noch einmal näher kennen zu lernen, das mal als Option einer zukünftigen neuen Heimat im Raum stand.

Am Abreisetag standen wir aber sehr zögerlich mit den gepackten Koffern da und haben hin und her überlegt und wären fast Zuhause geblieben. Mit der Gewissheit, es kann uns notfalls jemand heim bringen und der Option im Bedarfsfall auch die Wohnung verlängern zu können, sind wir dann am 4. Juni 2020 zum Glück doch aufgebrochen. Ich sage zum Glück, weil er diese Tage trotz aller Schwachheit noch genossen hat – obwohl er kaum das Haus verlassen konnte und obwohl es Momente gab, wo ich Angst hatte, er würde mir dort sterben.

Letzte Tage

Am 10. Juni hat mein Mann es im Schneckentempo mit letzter Kraft dank mehrerer Pausen geschafft uns die 135 km nach Hause zu bringen. Es standen Alternativfahrer bereit, aber er wollte unbedingt selber fahren (in der Situation habe ich erstmalig bedauert, dass ich kein Auto mehr fahre). Zuhause ist er – sich entschuldigend, dass er mir nicht beim Auspacken helfen kann – dann sofort ins Bett gegangen.
Am nächsten Tag konnte er noch einmal kurz aufstehen, um das Auto in die Garage zu bringen. Danach hat er das Bett nur noch verlassen, um ins Bad zu gehen, bis auch das nicht mehr ging …

Ich wusste schon seit Anfang Juni, dass uns wahrscheinlich nicht mehr sehr viel Zeit bleiben würde. Der Palliativarzt hatte sich in seinen dreiwöchigen Urlaub verabschiedet und angedeutet, dass dies wohl sein letzter Besuch gewesen sein würde.
Aber irgendwie wollte ich das noch nicht glauben, und ich hatte vor allem nicht erwartet, dass es dann so schnell gehen würde.

Nicht vorbereitet

Ich bin ein Mensch, der gerne alles plant und langfristig vorbereitet.
Als es meinem Mann im Frühjahr schon einmal sehr schlecht gegangen war und er einige Tage im Bett verbracht hatte, wollte ich uns somit auf den Ernstfall vorbereiten und Hilfsmittel wie Rollstuhl, Toilettenstuhl, Flasche und Bettpfanne beantragen und Inkontinenzmaterial besorgen. Aber nicht mit meinem Mann! Die Angst hiervor hat ihn wieder aus dem Bett getrieben 😉.
Das Einzige was ich dann beantragen durfte – mit Ausblick auf eine mögliche Reise – war der Rollstuhl, der aber leider erst kam, als schon klar war, dass er das Haus nicht mehr würde verlassen können.
Was wir allerdings zum Glück dank meiner Hartnäckigkeit schon seit einiger Zeit hatten, war der Palliativdienst.

Und ich hatte eine so liebe Nachbarin, die im Notfall jeder Zeit auch nachts gekommen wäre, falls mein Mann gefallen und ich Hilfe gebraucht hätte. Auch ihr Sohn hatte sein Hilfe zugesagt. Das war so unglaublich beruhigend. Ganz herzlichen Dank nochmal, falls du hier mitliest.

Ansonsten hatte ich nichts, bis auf die Aussage meines Mannes: „Ins Bad schaffe ich es immer“.
Doch leider konnte er dieses Versprechen nicht halten und so kam die Nacht, in der ich fast zusammen gebrochen wäre. Ständig hatte er den Drang aufzustehen, aber nicht die Kraft, überall blutete er und ich wusste nicht, wie halte ich ihn, wo wische ich das Blut zuerst weg.

Und dann habe ich früh morgens nach Hilfe rufen können (eigentlich will ich ja immer alles alleine schaffen) und meinen Bruder und meine Schwägerin aus dem Bett geworfen. Diese waren knappe zwei Stunden später da und auch meine Tochter konnte es möglich machen, mit den beiden Mädels zu kommen und zu bleiben. Nur so habe ich die letzten Tage geschafft.

Auch wenn mein Mann nur noch 60 kg wog, waren wir trotzdem nicht in der Lage ihn so wirklich bequem zu betten. Selbst der kräftige Pfleger vom Hospizdienst hatte Mühe, ihn hochzuziehen, da mein Mann, was mir auch wichtig war, auch weiterhin in unserem Ehebett lag. Dieses war trotz eines verstellbaren Lattenrostes natürlich nicht pflegegeeignet.

Es ging dann schnell – auch wenn mir diese Woche endlos lang vor kam.

Am 17 Juni 2020. um 14.20 Uhr ist mein Mann im Beisein von mir und meiner Tochter verstorben.

Eine individuelle Entscheidung

Ich bin froh, dass ich das Versprechen, meinen Mann Zuhause sterben zu lassen, einhalten konnte. Aber in dieser Situation, in der ich nicht nur körperlich, sondern vor allem natürlich auch emotional am Rande meiner Kräfte war, hätte ich das so wohl nicht noch Wochen länger durchgestanden.

Wahrscheinlich würde ich es wieder versuchen, aber mich dann nicht davon abbringen lassen, Hilfsmittel rechtzeitig zu bestellen. Der Toilettenstuhl kam viel zu spät, die Urinflasche war nicht lieferbar und kam erst nach seinem Tod und Inkotinenzmaterial hat ohnehin einen längeren Bewilligungsvorlauf. Aber das konnte man ja wenigstens genau wie die Urinflasche, wenn auch auf eigene Kosten, kurzfristig aus der Apotheke vor Ort bekommen.

Aber hätten wir das auch so gewollt und gemacht, wenn wir mehr professionelle Hilfe benötigt hätten, wenn mein Mann in ein Pflegebett und damit in ein anderes Zimmer hätte umziehen müssen? Meines Wissens nach ist es wohl äußerst schwierig, wenn nicht sogar unmöglich, einen Pflegedienst zu finden, der ohne Pflegebett unterstützt. Dieses ist natürlich sinnvoll, um rückenschonendes Pflegen möglich zu machen.

Mich hat es ab und an etwas gequält, dass ich meinen Mann nicht professionell lagern konnte und auch das Wechseln der Unterlage ausgesprochen schwierig war. Man will es für die geliebte Person ja so bequem wie möglich haben, es ist ja auch das Letzte, was man noch für sie oder ihn tun kann. Man will ja bei den Hilfeleistungen nicht zusätzlich Schmerzen zufügen …

Ja, da kam mir zwischendurch schon der Gedanke, ob er es nicht in einem Hospiz bequemer gehabt hätte, aber eigentlich wollte ich ihn nicht hergeben, ihn bei mir haben, keine Zeit missen.
Schön war natürlich die absolute Unabhängigkeit, das Private, das Ungestörte, das jeder Zeit daneben liegen können, bei ihm sein zu können. Alles selber entscheiden zu können. Doch da ist auch in einem Hospiz wohl vieles möglich.

Es ist und bleibt eine schwere Entscheidung, die nur jeder für sich und anhand der Gegebenheiten (ein Hospizplatz ist ja auch nicht immer verfügbar, manche müssen auch in dieser Situation arbeiten, medizinische Gründe sprechen gegen eine Versorgung Zuhause …) treffen kann und ganz sicher gibt es hier kein richtig oder falsch!

Es gibt nur ein: Für uns ist das jetzt und hier die beste Lösung.

Egal, wie du dich entscheidest, bleibe bei dieser, akzeptiere sie und lasse sie in Liebe zurück, ohne dich im Nachhinein mit Überlegungen wie „hätte ich …“ zu quälen.

Und ich?

In meiner Patientenverfügung steht, dass ich nach Möglichkeit in einem Hospiz sterben möchte.
Wobei ich natürlich die Hoffnung eines schnellen Todes ohne vorherige Pflegebedürftigkeit habe. Doch bitte noch nicht so bald ;-).
Aber das kann sich ja nun mal keiner aussuchen …