Das erste Kapitel findest du hier, du kannst auch von Kapitel zu Kapitel blättern.
letztes Kapitel

Blogroman Sonntagsgeschichte Kapitel 72

Tee und Kuchen mit den Eltern hatten Josephine und Sarah erfolgreich hinter sich gebracht. Am liebsten hätte Marion für Sarah ein Festessen zu Abend bereitet, aber das wäre beiden Mädchen zu viel geworden. Daher hatte Josephine ihrer Mutter erklärt, sie wolle mit Sarah in die Stadt. Pizza und Drinks, wie sich das eben für junge Erwachsene gehört. Sarah hatte sie mit großen neugierigen Augen angesehen und dem Plan zugestimmt. Natürlich kannte sie weder Pizza noch Drinks, auf diesen Teil des Lebens hatte Lore sie natürlich nicht vorbereitet.

Am liebsten hätte Sarah sich direkt auf die Suche gemacht, aber sie akzeptierte Josephines Einwände, sie müsse sich in ihrem neuen Leben zurecht finden. Beim Tee war ihnen aufgefallen, wie dünn ihre Geschichte war. Auf zu viele Fragen gab es noch keine Antworten. Lore hatte ihnen ja gesagt, der Plan sei noch nicht fertig. Also hieß es improvisieren. Damit sie nicht durcheinander kamen, mussten sie dazu einige Notizen machen. Das hatten sie getan, nachdem sie Marion erfolgreich entkommen waren. In ihrem Zimmer hatte Josephine ein altes Schulheft hervorgekramt, die ersten beiden beschriebenen Seiten herausgerissen und dann begonnen einen Steckbrief aufzuschreiben.

Sarah langweilte sich schnell und begann in Josephines Zimmer herumzustöbern. „Oh, was ist das denn?“, rief sie regelmäßig. Josephine erläuterte alltägliche Dinge, wie Rauchmelder, Musikbox und diverse Elemente ihrer Make-Up Sammlung. Nachdem Sarah sich die Nägel lila lackiert und mit dem LED-Streifen gespielt hatte, verlor auch Josephine die Lust an ihren Notizen. Sie packte das Heft in ihre Tasche und entschied: „Lass uns fahren.“

Sarah sprang erwartungsvoll auf. „Was muss ich mitnehmen?“, fragte sie und Josephine erkannte das nächste Problem. Sie würde mit Sarah wohl zeitig nach Hause kommen müssen. „Also eigentlich würdest du eine kleine Handtasche mitnehmen, ein Portmonaie mit etwas Geld, Fahrkarte und deinem Ausweis. Das hast du alles ja noch nicht.“

„Doch“, antwortete Sarah in ihrer fröhlich hellen Stimme, hüpfte aus dem Zimmer und war einen Moment später mit einer altmodischen Geldbörse wieder da. Sie öffnete sie und präsentierte stolz den Inhalt: Eine Menge Scheine, einen Personalausweis, der ihre bescheinigte, dass sie 21 Jahre alt war, einen Studentenausweis, der auch als Fahrausweis für ganz NRW galt und eine Krankenkassenkarte. Josephine starrte die Dokumente an. Sie wirkten so echt. „Wie?“, stammelte sie und antwortete sich dann selbst: „Loreley?“

Sarah nickte. „Die Börse ist von Lore, hat sie mir heute früh noch gegeben. Sie sagt, ich soll dich um Rat fragen, damit ich nicht zu viel Geld auf einmal ausgebe.“
„Es wäre besser, wenn du nicht alles mit nimmst.“ Josephine nahm fast alle Scheine heraus und drückte sie Sarah in die Hand. „Leg sie in deine Schublade am Bett. Heute Abend zahle ich für uns beide, aber es ist immer gut ein wenig Bargeld dabei zu haben.“

Wenig später waren sie unterwegs. Sarah trug stolz eine kleine Handtasche, die Josephine ihr gegeben hatte. In dieser befanden sich ihre altmodische Geldbörse, ein Päckchen Taschentücher und das Handy. Sie hatte sich nicht davon abhalten lassen, Josephines Tasche genauestens zu untersuchen. „Ich soll doch lernen, mich ganz normal zu verhalten“, hatte sie gesagt und Josephine ahnte, dass das ab sofort das Standardargument für alles werden würde, auch wenn es einfach nur darum ging Schneewittchens Neugier zu befriedigen.

Die Busfahrt war aufregend für Sarah und in der Innenstadt blieb sie an jedem Schaufenster stehen. Damit fiel sie allerdings nicht auf, das taten viele. Alternativ hetzten die Menschen an allem vorbei. „Kommen Sven und Jenny eigentlich auch“, fragte Sarah, als sie die Pizzeria betraten. Doch ehe Josephine antworten konnte, winkte Jenny ihnen von einem Tisch in der hinteren Ecke zu. „Wir dachten, es wäre besser etwas abseits von den anderen zu sitzen“, erklärte sie und Josephine nickte zustimmend.

Ein Kellner lief mit mehren Pizzatellern an ihrem Tisch vorbei. „Hmm“, seufzte Sarah, „das riecht aber köstlich. Das möchte ich auch essen.“
„Deswegen sind wir hier“, stimmte Sven ihr zu. Dann schlug er die Karte auf und erklärte ihr die vielen Möglichkeiten. Zu viele Zutaten kannte Sarah nicht, also entschied sie sich schließlich für eine Pizza Margarita. „Das ist eine gute Wahl“, bestätigte Jenny ihr. „Die werde ich auch nehmen, einmal den vollen Pizzagenuss, ohne Ablenkung.“ Sarah strahlte sie an. „Ich nehme eine Pizza Vegetaria, da ist verschiedenes Gemüse drauf. Dann kannst du gerne ein Stück probieren“, erklärte Josephine ihre Wahl. „Gute Idee mit dem Probieren“, stimmte Sven zu. „Dann nehme ich die Pizza Speciale mit Pilzen, Salami und Schinken, die schien dich zu interessieren.“ Bei den Getränken hielten sie es ähnlich und bestellten Cola, Fanta, Sprite und Apfelschorle. Sarah probierte alle und entschied sich dann für die Apfelschorle, die schmeckte ihr am besten.

Zunächst besprachen sie noch ein paar Themen, die Sarahs Lebenslauf anreicherten. Ein paar Notizen wurden ins Schulheft geschrieben und sie planten den nächsten Tag. Josephine wurde im Kindergarten erwartet. Jenny hatte erst gegen Mittag Uni. Sie würde sich mit Sarah treffen und ihr die Uni zeigen. Sie wollten auch Lore anrufen und herausfinden, ob zu dem Studentenausweis auch ein Studiengang gehörte in dem Sarah tatsächlich eingeschrieben war. Nachdem die Teller abgeräumt waren entschieden sie sich, dass es an der Zeit war, Schneewittchen das Studentenleben zu zeigen. Sie wollten sie sanft einführen und entschieden sich vier verschiedene Cocktails zu bestellen. Sarah war begeistert von den bunten Getränken, aber sie konnte sich einfach nicht entscheiden, welchen sie trinken wollte und so trank sie abwechselnd aus allen vier Gläsern. Dabei wurde sie immer alberner und auch lauter. „Du hast noch nie vorher Alkohol getrunken, oder?“, erkundigte sich Sven besorgt.

„Was ist Alkohol“, kicherte Sarah vergnügt und trank einen weiteren Schluck aus einem bunten Metallstrohhalm. Das schlürfende Geräusch verriet, dass das Glas nun leer war. Sven und seine Schwester wechselten einen vielsagenden Blick und Josephine stimmte zu, es war Zeit zu gehen. Als Sarah nach einem der anderen Gläser greifen wollte, war Jenny schneller und trank es aus. Sarah lallte: „Bestellen wir neue Farben?“ Sven winkte dem Kellner herbei und Josephine beantwortete die Frage: „Nein, heute nicht mehr, wir werden jetzt zusammen Bus fahren.“

„Au ja“, freute sich Sarah und wirkte dabei wie ein aufgeregtes kleines Kind. Als sie aufstand, schwankte sie leicht. Jenny nahm sie am Arm und gemeinsam gingen sie die Treppe nach oben an die frische Luft.

***
nächstes Kapitel