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„So viel habe ich doch wirklich nicht getrunken“, stöhnte Lukas und stützte sich auf Sven. Immer wieder kniff er die Augen zusammen, öffnete sie und starrte auf die lebendig gewordene Steinfigur vor ihm. Sie saß aufrecht und aß. Immer wieder fragte sie nach ihre Freunden. Er blickte sich um, die sieben Zwerge, die im Kreis um sie herum gestellt waren, standen noch versteinert da. Was war hier los?
Von hinten legte sich eine Hand auf seine Schulter. „Komm“, sagte eine liebliche Stimme und die Hand zog ihn sanft. Lukas ließ sich mitziehen, drehte sich um und sah in ein fremdes und zugleich vertrautes Gesicht. Diese Frau hätte seine Großtante sein können, in sehr viel jünger. Wow, war sie schön, dachte er. Sie lächelte und reichte ihm etwas zu trinken. Wie in Trance nahm er den Becher, trank und spürte wie sich die Nebel schlagartig lichteten. Wie viel Wein er getrunken hatte, wusste er nicht, aber jetzt war er nüchtern. Allerdings zweifelte er das an, als er sich umblickte. Außer der schönen Frau, war niemand da, auch die Steinfiguren und Schneewittchen waren verschwunden. „Setz dich, ich werde dir alles erklären.“
„Wo sind die anderen hin oder soll ich besser fragen, wo bin ich?“
„Du bist ein kluger Junge, die anderen sind noch immer genau da, wo wir sie zurück gelassen haben. Ich habe dich mit hinüber in die Anderswelt genommen, nachdem ich deine Verwirrung gesehen habe. Zwei verwirrte Wesen auf einmal ist etwas viel. Überlassen wir den anderen Schneewittchen und ich kümmere mich ein wenig um dich.“ Irgendwie war diese Stimme magisch beruhigend oder es lag an dem Getränk, dass ihn so ernüchtert hat. Noch immer verstand Lukas nicht, was los war, nahm die Informationen, die so wenig Sinn ergaben, allerdings gelassen auf. Die Frau machte eine Handbewegung und die Luft vor ihnen begann zu flimmern. Wie durch ein Fenster erblickte er seine Familie, die noch immer das erwachte Schneewittchen umringten und mit ihr sprachen. Das flimmernde Fenster verschwand wieder und sie waren allein.
„Ich bin Loreley“, stellte die schöne Stimme sich ihm vor. Dabei lächelte sie weiterhin und nickte. „Ja, die Loreley, die du aus der Sage kennst, nicht ganz so grausam, aber meine Stimme ist tatsächlich magisch.“ Lukas nickte, das spürte er. „Deine Großtante Lore ist meine Seelengefährtin, daher siehst du auch die Ähnlichkeit zwischen uns. Dein Großvater, Jenny, Sven und seine Freundin Josephine haben ebenfalls Seelengefährten. Sven hat genau wie du jetzt gerade erst alles erfahren. Bei ihm ist die Geschichte noch viel komplizierter, denn sein Seelengefährte ist verschollen. Es ist ein großes Glück, dass er die Verbindung zur Anderswelt gefunden hat, das verdanken wir der Liebe. Jetzt soll es aber um dich und deine Seelengefährtin gehen.“
Lukas musste lachen. Schon so lange hatte er das Gefühl, dass in seiner Familie etwas vor sich ging, hatte sich ausgemalt sein Großvater wäre der Vorsitzende einer Geheimgesellschaft und nun war es so weit. Jenny, Sven und er gehörten dazu. Die nächste Generation.
„Die Steinfigur ist also lebendig und meine Seelenverwandte? Entschuldige Loreley, sie ist wunderschön. Du bist wunderschön. Offenbar wirkt auch die Magie deiner Stimme bei mir und doch … Also ganz ehrlich. Ich meine … ähm …“ Lukas fehlten die Worte, zu erklären, was ihn da gerade beschäftigte.
Doch das übernatürliche Wesen verstand ihn auch so. Sanft legte sie ihm eine Hand an die Wange. „Ich weiß, dass du meinem Charme niemals erliegen würdest Lukas. Das brauchst du auch nicht. Es geht hier auch ganz und gar nicht darum, dass du Schneewittchens Prinz sein sollst. Den gibt es nämlich, nun ja, eigentlich zumindest, denn er ist verschwunden. Er ist Svens Seelengefährte. Auch seine Aufgabe ist es nicht, sich in Schneewittchen zu verlieben. Das wäre auch ein übles Ende für unsere Geschichte. Meinst du nicht auch? War es doch Josephines Liebe, die ihn zu uns geführt hat. Schneewittchen und du, ihr seid Seelengefährten. Ihr habt eine besondere Verbindung zueinander und auch zwischen euch gibt es eine unverkennbare Ähnlichkeit. Schon amüsant, dass wir sie nie gesehen haben, all die Jahre. Als Kind hast du mit Sven und Jenny so viel Zeit bei den Steinen verbracht und niemandem ist aufgefallen, dass ihr dasselbe Gesicht habt. Alle haben wir so lange darauf gehofft, dass Jenny ihre Seelengefährtin sein würde, dass es in ihrer Macht stünde, sie endlich zu erwecken. Wie beschränkt wir doch alle waren. Um so schöner, dass du nun bei uns bist und Schneewittchen erwacht. Ich erzähle dir jetzt ihre Geschichte und dann kehren wir zu den anderen zurück.“
Lukas war einverstanden, sie hätte ihm alles erzählen können.
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