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„Willkommen in unserer Welt“, begrüßte Johanna Sven feierlich. Es hatte also doch geklappt, wunderte sich der Junge und sah sich um. Die steinernen Zwerge und Schneewittchen auf ihrem Sarg waren noch da, umringt von seiner Schwester, Großtante, Loreley und seiner Freundin mit ihrer Doppelgängerin Johanna. Alle sahen ihn erwartungsvoll an, wandten sich dann nahezu zeitgleich ab, um in verschiedene Richtungen zu blicken. Als könnten sie jemanden herbeisehnen.
Johanna in ihrer menschlichen Gestalt trat auf ihn zu und zog ihn in eine sanfte Umarmung. „Das muss alles sehr verwirrend für dich sein.“ Über ihre Schulter hinweg, blickte er in Josephines Augen. Wie konnte es seine Freundin doppelt geben? Was wenn er sie aus Versehen verwechselte? Er wurde wieder losgelassen und Johanna blickte ihm tief in die Augen. Da erkannte er, dass er diese beiden Frauen niemals verwechseln würde. Seine Freundin war kein Drache und er liebte nur sie. „Nun, es gibt zwei Erklärungsmöglichkeiten“, wandte sich die Drachenfrau an die Umstehenden. „Vielleicht ist es Josephines Liebe, die ihn problemlos herbringt, schließlich erfolgt der Übergang durch einen besonderen Akt bei dem tiefe Gefühle im Spiel sind.“ Natürlich lief Sven rot an und blickte verschämt zu Boden. Alle hatten sie allein gelassen und trotzdem wussten sie Bescheid. Gewiss hatten sie andere Möglichkeiten, alles zu beobachten. Er war so dumm gewesen.
„Die andere Möglichkeit ist, dass auch Sven zu uns gehört. Ich erinnere mich nicht, dass es je vorgekommen wäre. Doch vielleicht hat auch Sven einen Seelengefährten, einen der sich aus besonderen Gründen nicht zeigen kann.“ Zunächst erhielt Johanna großes Erstaunen für diese Ankündigung, dann entspann sich eine große Diskussion über diese Möglichkeit zwischen Loreley, Großtante Lore und ihr. „Vielleicht gibt es keinen bekannten Fall, eben weil es ohne Seelengefährten unwahrscheinlich ist, dass uns jemand findet.“
Sven wurde das alles zu viel. Er wandte sich ab und trat näher an das steinerne Schneewittchen. Seit er klein war, besuchte er immer wieder den Steingarten, kannte das Märchen als Teil seiner Familiengeschichte. Diesen Ort als Portal in eine andere Welt zu betrachten, war vollkommen neu. Nein, es war kein Portal, korrigierte er sich. Die Welten waren überall miteinander verbunden. Allerdings gab es diese Steine an beiden Orten oder waren es dieselben Steine? Sein Kopf drohte zu platzen, wie sollte er all das nur begreifen, es akzeptieren. Währenddessen diskutierten sie über ihn, seine Existenz und seine Berechtigung an diesem Ort zu sein. Er berührte den kühlen Stein und das beruhigte ihn ein wenig. Schneewittchen war ihm vertraut, war ein Stück Zuhause in all diesen Merkwürdigkeiten. Sie lag schon ewig hier und würde auch weiterhin hier liegen, wenn diese merkwürdige Diskussion beendet sein würde. Ihr Gesicht, sie sah so vertraut aus, nicht nur als Steinfigur. Da war ein Gedanke, aber er konnte ihn nicht festhalten.
„Na, erweckst du gleich unser Schneewittchen?“, fragte seine Schwester Jenny. Sie legte ihm tröstend den Arm um die Schulter. „Weißt du noch, wie wir klein waren und Großvater immer sagte, er hoffe, ich könne Schneewittchen eines Tages erlösen?“ Er nickte. „Ja, jedes Mal habe ich mich beschwert und gesagt, ich sei der Prinz.“ Sie lachten beide. „Und dann kam Lukas dazu und verkündete, er würde der große Held sein.“ Es waren Kinderspiele, als Sven und sein jüngerer Cousin sich im Steingarten um die schöne Prinzessin duelliert hatten. Eigentlich war Schneewittchen keine Prinzessin, nicht ohne Prinz, der sie erweckte …
Mit einem Knuff in die Seite, holte Jenny ihn aus seinen Erinnerungen zurück. „Vorsichtig Brüderchen. Wenn du Schneewittchen jetzt küsst, wird deine Freundin eifersüchtig.“ Er blickte hoch. Ihm gegenüber, auf der anderen Seite der steinernen Schönheit stand sie. Josephine stand einfach da und beobachtete ihn. Sie lächelte, keine Spur von Eifersucht. Warum sollte sie auch auf eine verdammte Steinfigur eifersüchtig sein? Seine Schwester kam auf Ideen.
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