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„Leute, ich habe meinen Vater erreicht“, verkündete Basti. „Die gute Nachricht, er kann uns mit dem großen Auto abholen. Der Haken, er wird erst in etwa zwei Stunden hier sein. Schneller kommt er nicht aus dem Büro raus.“
„Danke, das ist lieb von ihm“, antwortete Sarah und lächelte tapfer. Ihr Knöchel schmerzte höllisch. „Das reicht noch aus, um zu einem Arzt zu kommen. Aber so wie es sich anfühlt, bin ich mir ziemlich sicher, dass es eine Verstauchung ist, wäre nicht meine erste.“
Die Freunde hatten es sich rund um die Verletzte bequem gemacht, auf den Überresten der Ruine auf dem Drachenfels.
„Dann lasst uns doch die Zeit nutzen und doch noch hier oben essen, bevor wir uns an den Abstieg machen“, schlug Angi vor und kramte in ihrem Rucksack. Die anderen stimmten zu und sie teilten, was sie mitgebracht hatten. Da der Ausflug spontan und das Proviant nicht abgesprochen war, kam eine schräge Kombination aus Obst, Keksen, Gummibärchen und Müsliriegeln zusammen. Doch unter Freunden schmeckt auch das wie ein Festmahl.
Nach einer Weile blickte Sven auf die Uhr und mahnte zum Aufbruch. „Wir sollten deinen Vater nicht warten lassen, Basti. Wer weiß, wie lange wir auf die Zahnradbahn warten müssen, so oft fährt sie auch nicht.“
Josephine seufzte, er hatte Recht, aber es war wirklich schön hier oben. Sie packten zusammen und halfen Sven, Sarah auf den Rücken zu nehmen. Angi und Josephine trugen die Rucksäcke der beiden. Basti würde übernehmen, sobald Sarah für Sven zu schwer wurde. Am schwierigsten war es die Ruine zu verlassen, doch sobald sie auf dem asphaltierten Pfad waren, hatte Sven keine Probleme mehr. Er hätte Sarah, die wirklich nicht viel wog, bis zur Aussichtsplattform getragen, aber Basti bestand darauf zu übernehmen. Die Idee war wirklich lieb von ihm, aber der Wechsel gestaltete sich komplizierter, da Sarah nicht mit dem Fuß auftreten konnte und so direkt von einem Rücken auf den anderen rutschen musste. Die Mädchen halfen ihr dabei, kitzelten Sarah dabei aus Versehen und alles endete in einem furchtbaren Lachanfall, aber Lachen ist ja bekanntlich gesund.
Irgendwie schafften es alle Fünf ohne weitere Verletzungen bis zur Bahnstation. Sie hatten sogar das Glück, dass bereits eine Bahn bereitstand. Schnell kaufte Josephine Fahrkarten. Sie war die einzige, die ausreichend Geld dabei hatte. Erleichtert und verlegen saß Sarah auf der roten Polsterbank in der Drachenfelsbahn.
„Es tut mir unendlich leid, dass ich euch alles verdorben habe. Bitte, es war wirklich ein schöne Idee hierher zu kommen. Könnten wir das vielleicht wiederholen, wenn mein Fuß wieder geheilt ist? Ich würde auch Turnschuhe anziehen, versprochen. Irgendwie habe ich überhaupt nicht nachgedacht heute Morgen. Naja, ich war wirklich froh, dass ihr mit mir diesen Ausflug machen wolltet. Wir kennen uns doch eigentlich kaum und trotzdem seid ihr alle so lieb zu mir. Danke! Ehrlich, vielen vielen Dank euch!“
„Wir kommen immer wieder gerne hier her“, versicherte Josephine und Angi fügte hinzu: „Verdorben hast du gar nichts, wir hatten doch Spaß zusammen! Außerdem komme ich dank dir endlich mal in den Genuss mit dieser Bahn zu fahren. Das habe ich nämlich noch nie gemacht.“
„Na, dann hat mein kleiner Unfall ja doch etwas gutes. Josephine, das Geld würde ich dir aber gerne wieder geben.“
Josephine wollte abwinken, aber dem eindringlichen Blick von Sarah wollte sie nicht widersprechen. „In Ordnung.“
Dann schwiegen sie. Es war ein angenehmes Schweigen und sie genossen die wunderbare Aussicht von der Bahn aus.
Unten angekommen musste sie nicht lange auf Bastis Vater warten. Er hatte bereits bei einem Arzt angerufen und abgeklärt, dass er mit Sarah vorbei kommen würde. Daher wollte er die anderen in der Nähe des Bahnhofs rauslassen, damit sie möglichst schnell dort hinkam. Das war gar kein Problem.
Nachdem sie Sarah Gute Besserung gewünscht hatten, verabschiedete sich auch Angi von Sven und Josephine, da sie in eine andere Richtung musste. Sie war still im Auto gewesen, hatte sich intensiv mit ihrem Handy beschäftigt und mit irgendwem geschrieben. Doch Josephine würde sie erst später fragen, was sie noch vorhatte. Zu gerne hätte sie gewusst, ob sie sich noch mit Mike oder vielleicht sogar Fred treffen würde. Sie sah auf jeden Fall fröhlich aus, als sie davoneilte.
„Und was machen wir zwei noch?“, fragte Sven. „Magst du noch ein Eis essen, oder möchtest du lieber nach Hause?“
„Ein Eis wäre schön“, stimmte Josephine spontan zu. Erst jetzt wurde ihr klar, dass sie auf dem ganzen Ausflug kaum ein Wort mit Sven gewechselt hatte. Ohne sich abzustimmen schlugen sie gemeinsam den Weg zum Kaiserplatz ein.
„Das war doch ein richtig schöner spontaner Ausflug“, begann Sven das Gespräch.
„Ja, das war es.“ Spontan traf es sehr. Am Abend vorher im Bus nach Hause hatte sich alles ergeben. Josephine war sehr dankbar für diese Fügung, nachdem sie so lange darauf gewartet hatte, endlich nach Königswinter zu fahren und Johanna zu treffen. Es war ihr gelungen, ihre Drachenschwester unbemerkt von den anderen zu treffen. Diese Magie war für sie nach wie vor unglaublich, aber auch sehr praktisch, diese zusätzlichen Zeitfenster. Doch irgendwie war sie noch immer nicht viel schlauer, hoffentlich würde sie bald mehr erfahren und verstehen, was diese besondere Verbindung zwischen ihr und Johanna bedeutet.
„Bist du noch da?“, Sven stupste sie an. „Du möchtest den Früchtebecher für zwei? Zumindest starrst du ihn jetzt schon sehr lange an.“
„Was, nein, ähm. Erbeerbecher möchte ich gerne. Entschuldige, ich war kurz in Gedanken.“
Sven grinste sie an. Alles war gut. Es war so wunderbar leicht mit ihm zusammen zu sein, so unkompliziert. Josephine gefiel das. Sie bestellten sich jeder einen eigenen Eisbecher. Pärchenbecher?! Das hier war doch kein Date!
Nachdem sie ihr Eis längst aufgelöffelt hatten, schaute Josephine auf ihr Handy und tatsächlich hatte sie eine Nachricht von Basti.
„Sarah hatte Recht, ihr Knöchel ist verstaucht. Jetzt kann sie Carla gemütlich zu Hause Gesellschaft leisten. Basti schreibt, die zwei planen einen Serienmarathon und wollen das Wohnzimmer belagern.“
„Der Arme“, sagte Sven mitleidig. Doch sein Grinsen verriet, dass er doch nicht so verständnisvoll war.
Josephine ermahnte ihn, indem sie die Augenbrauen hoch zog. Das machte alles nur noch schlimmer, denn Sven brach in Gelächter aus. „Böse gucken ist echt nicht deine Stärke Josie.“
„Josie“, fragte sie zurück und versuchte weiterhin streng zu gucken.
„Ähm, magst du das nicht? Soll ich dich lieber Josephine nennen, oder Jo?“ Kam Sven da wirklich gerade ins stottern?
„Nein, eigentlich klingt es ganz schön.“ Ein kurzer verlegener Moment entstand zwischen den beiden. Keiner lachte mehr, keiner von beiden sagte etwas.
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An dieser Stelle bedanke ich mich herzlich bei meiner Freundin Soledad Sichert und der Drachenfelsbahn, die mir Inspiration für meinen Drachenfels-Abschnitt der Sonntagsgeschichte waren!