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Letztes Kapitel
Nervös standen Josephine, Sven und Jenny vor der Haustür des kleinen Einfamilienhauses der Familie Waldhorn.
Vor einigen Tagen hatte ihre Tochter Marie im Kindergarten ein Bild von Schneewittchens Prinzen gezeichnet, der aussah wie Sven. Gleichzeitig sah Sven offenbar aus, wie Maries Cousin. Frau Waldhorn empfand die Geschichte als so unglaublich, dass sie die drei jungen Leute zu sich eingeladen hatte, damit sie ihren Bruder kennen lernten. Die Idee war ihnen allen als eine gute erschienen, schließlich lag der Verdacht nahe, dass Maries Cousin tatsächlich Schneewittchens Prinz war. Doch das konnten sie Frau Waldhorn und ihrem Bruder nicht sagen. Wie war aber Marie auf diese Idee gekommen?
Es war Jenny, die nach einer scheinbaren schweigenden Ewigkeit auf die Klingel drückte. „Wenn wir nicht klingeln, kommen wir nicht rein. Wenn wir nicht reingehen, gibt es keinen Kuchen und keine Informationen.“ Sven und Josephine hatten genickt und geschwiegen.
Wenig später fanden sie sich im Wohnzimmer wieder, saßen gemütlich auf dem Sofa, bei Kaffee, Tee und Schokoladentorte. Während Josephine noch immer nicht wusste, was sie sagen sollte, fühlte Sven sich nicht wohl in seiner Haut. Frau Waldhorns Bruder, der sich ihnen als Karl vorgestellt hatte, starrte ihn permanent an. Er bemühte sich offensichtlich es zu unterlassen, doch gelang es ihm nicht, den Blick abzuwenden. Während Frau Waldhorn von ihrer Tochter abgelenkt war, gelang es mal wieder Jenny die unangenehme Situation zu durchbrechen: „Es ist schon verrückt, dass Maries Bild, sowohl meinem Bruder, als auch deinem Sohn so ähnlich sieht, nicht wahr?“ Mit einem Blick auf das kleine Mädchen fügte sie noch hinzu: „Sie hat unglaubliches Talent!“
Karl nickte, während sie vom Talent seiner Nichte sprach. Dann schüttelte er den Kopf. „Es ist nicht die Zeichnung, die hier so erstaunlich ist. Du könntest ein Zwilling meines Sohnes sein, so ähnlich seht ihr euch. Doch es scheint einen Altersunterschied zu geben. Lars ist bereits 26, du scheinst mir ein wenig jünger.“
Sven nickte stumm. Er war sich ganz sicher, keinen älteren Bruder zu haben. Jenny hatte erst gestern noch ein kompliziertes Gespräch mit ihrer Mutter geführt, ihm die Details erspart, aber versichert, dass es keine Zweifel daran gäbe, dass sie beide die einzigen Kinder ihrer Mutter wären.
„Um ehrlich zu sein, ist Lars nicht mein leiblicher Sohn. Streng genommen ist er nicht einmal adoptiert. Er lebt seit zehn Jahren bei mir und meinem Lebensgefährten. So wie er damals in unser Leben stolperte und blieb, so scheint er auch entschwunden zu sein.“ Karl musste schwer schlucken und wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel. „Entschuldigt, es ist erst wenige Tage her und dich heute zu sehen, macht es nicht leichter.“ Erneut sammelte er sich einen Moment, dann sprach er weiter. „Lars stand mit gepacktem Rucksack vor uns, es würde Zeit zu gehen, sagte er. Wenn es ihm möglich wäre, würde er sich melden. Dann umarmte er uns und verließ das Haus.“
Karl legte ein Blatt auf den Tisch, es hatte einige Flecken, als wäre Tränen darauf gefallen. „Den Brief fanden wir später in seinem Zimmer. Er hatte nie viel gesprochen.“
Die Freunde lasen den Brief, er war so herzlich, dankbar für die gemeinsame Zeit, ließ aber keinen Zweifel, dass Lars nicht zurückkehren würden. Einem spontanen Impuls folgend umarmte Sven Karl. „Er hat euch sehr geliebt, das wird aus diesen Zeilen deutlich.“
„Danke“, schluchzte Karl und er hielt seine Tränen nicht länger zurück.