Nicht nur meine Arbeit im Altenheim hat mir gezeigt, wie wichtig eine Patientenverfügung ist. Für viele Bewohnende und auch für viele Angehörige, wäre das Leben und das Sterben einfacher gewesen, wenn eine Verfügung vorhanden gewesen wäre.
Es gibt eine Vielzahl von vorgefertigten Formularen und oft finden auch Infoveranstaltungen zu dem Thema statt.
Erste Informationen sowie Textbausteine zum Erstellen einer Patientenverfügung erhält man auf der Seite des Gesundheitsministeriums.
Wichtig erscheint mir persönlich, dass man seine eigenen Wertevorstellungen beifügt. Dies kann als freies Schreiben formuliert werden, in dem auch persönliche Erfahrungen Platz haben.
Wann ist der richtige Zeitpunkt
Jetzt! Ja, es ist ein Thema mit dem man sich nicht gerne beschäftigt, aber keiner weiß was kommt, keiner weiß, wann das Schicksal zuschlägt. Keiner weiß, ob es nicht schon morgen zu spät dafür ist …
Ich habe schon seit vielen Jahren eine Verfügung, die ich allerdings immer mal wieder angepasst habe. Damals habe ich meinen Eltern und Schwiegereltern dabei geholfen diese zu erstellen und mein Mann und ich haben unsere dann auch gleich gemacht, da wir ja gerade so schön in dem Thema drin waren.
Das Gespräch mit dem Bevollmächtigten
Wir alle hoffen, diese Verfügung niemals zu brauchen. Für den Fall das doch, muss unsere bevollmächtige Person wissen, was sie tun soll. Dazu muss man miteinander reden, ausführlich, offen, ehrlich! Es genügt nicht das Formular zu kennen …
Aus eigener Erfahrung kann ich euch sagen, wie schwer es in so einer Situation sein kann, für den anderen entscheiden zu müssen.
Mein erster „Einsatz“ als Bevollmächtigte
Meine Schwiegermutter lag nach einem Herzinfarkt im Krankenhaus. Auf der Intensivstation hat sie immer wieder geäußert, dass sie nicht mehr leben will, dass sie doch besser nicht mehr ins Krankenhaus gekommen, sondern lieber friedlich gestorben wäre. Die Prognose war nicht gut. Wir mussten uns darauf vorbereiten, sie als Pflegefall nach Hause zu bekommen, nach Hause zu ihrem dementen Mann.
Wir hatten uns auf diese Situation vorbereitet. Pflegebett, Rollstuhl und alles was man dafür brauchte, standen auf Abruf bereit, um geliefert zu werden. Zum Glück haben wir in dem selben Mehrfamilienhaus gewohnt.
Lore sollte nun operiert werden und einen Defibrillator eingepflanzt bekommen. Meiner Schwiegermutter konnten wir nicht wirklich verständlich machen, worum es in der OP geht. Wir mussten die Entscheidung treffen.
Es war für mich vollkommen klar, Lore ohne aus der Wohnung zu können, das geht gar nicht. Lore bettlägerig für den Rest des Lebens, nein. Wir hatten mehrmals miteinander darüber gesprochen. Ich war sicher, dass sie das nicht wollte. Der Operateur hat uns ziemlich unter Druck gesetzt, aber zum Glück gab es einen anderen Arzt. Einen Arzt, der uns offen bestätigt hat, dass Lore aller Voraussicht nach nie mehr in der Lage sein würde, selbständig das Haus zu verlassen. Ein Arzt, der meinte, wenn es seine Mutter wäre, würde er der OP auch nicht zustimmen.
Die Entscheidung war alles andere als leicht. Ja, die Prognose war schlecht, aber da war das Wörtchen „voraussichtlich“. Was, wenn sie sich doch erholen können würde? Wir haben der OP nach langen Diskussionen nicht zugestimmt.
Einige Tage später ist Lore dann im Krankenhaus verstorben. Sie wurde um 4.15 Uhr von der Nachtschwester tot aufgefunden.
Mein Schwiegervater
Manfred konnte es nach dem Tod seiner Frau in der gemeinsamen Wohnung nicht mehr ertragen und ist freiwillig in ein Altenheim gezogen, wo er sich auch ganz wohl gefühlt hat. Nach einem Oberschenkelhalsbruch wurde das Leben für ihn mit seiner Demenz sehr schwierig. Er verstand nicht, dass er nicht mehr laufen konnte, ist daher immer wieder aufgestanden und gefallen, war ständig grün und blau und hat darunter sehr gelitten. Obwohl ich ein Gegner von Fixierung bin, war ich kurz davor, diese nun doch zu beantragen.
Bevor es dazu kommen konnte, hat er sich ins Bett gelegt und wollte nicht mehr aufstehen, nicht mehr essen, nicht mehr leben. Wollte nur noch zu seiner Lore. Hier kam dann das Thema Magensonde zur Sprache und die Entscheidung war für mich leicht und eindeutig. Nein! Er konnte ja essen, wollte nur nicht mehr, und das Recht musste man ihm zugestehen. Wir haben ihm regelmäßig etwas angeboten und manchmal hat er auch tatsächlich etwas zu sich genommen.
Er hat es nach 10 Tagen geschafft und ist ganz friedlich in meinem Beisein eingeschlafen. Ähnliches habe ich im Altenheim häufiger erlebt.
Mein Mann
Mein Mann hatte Krebs. Mit der Diagnose kam zugleich die Aussage: „der Krebs hat gestreut, unheilbar, palliative Behandlung“. Klaus wollte kämpfen und hat gekämpft. Er hat dem Schicksal noch 15 Monate abgetrotzt, sich durch die Chemo gequält und die Nebenwirkungen tapfer ertragen.
Doch er hat auch immer wieder geäußert, dass er nur solange kämpft, wie es Sinn macht, solange, wie er das Leben noch als lebenswert empfindet. Solange wie er noch raus kann und nicht im Bett liegen muss. Er hatte schon früher immer davon gesprochen, dass er sein Leben notfalls auch aktiv beenden würde, hatte gesprochen vom begleitetem Sterben in der Schweiz.
Er hat Glück gehabt, sein Leben war bis zum Ende lebenswert. Wir kamen aus einem letzten Kurzurlaub zurück und dann hat er „nur“ eine Woche im Bett gelegen. Die Woche war hart für uns alle. Klaus konnte noch nicht akzeptieren, dass der Kampf verloren war. Er hat immer wieder versucht, sich aus dem Bett zu kämpfen, wollte nicht gehen, wollte mich einfach nicht alleine lassen.
Hier hatte ich „nur“ die Entscheidung zu fällen, wann und wieviel Morphium muss sein. Auch das war sehr sehr schwer. Eigentlich wollte Klaus kein Morphium, hatte dann aber doch zugestimmt als die Schmerzen zu stark wurden. Die Abwägung, lässt man ihn seinen Kampf bewusst erleben oder gibt man ihn Morphium, um ihn zur Ruhe kommen zu lassen, ist verdammt schwer. Da helfen einem auch keine früheren Gespräche oder eine ausgefüllte Verfügung. Da muss man aus der Situation heraus nach seinem Bauchgefühl entscheiden.
Fazit
Es ist sehr schwer für einen anderen entscheiden zu müssen, aber wir alle wollen in unseren Vorstellungen sicher nicht noch jahrelang hilflos und teilnahmslos in einem Bett vor uns hin vegetieren. Dann müssen wir die Entscheidung anderen zumuten und uns auch selber für diese Entscheidung bereit erklären. Allerdings dürfen wir auch ehrlich „nein“ sagen, wenn wir merken, dass wir das auf gar keinen Fall können.
Je besser wir den Betroffenen kennen, um so leichter wird es. Man sollte daher immer miteinander im Gespräch bleiben, auch wenn das Thema nicht einfach ist.
Ich möchte hier keine Angst machen. Die meisten Menschen sterben ohne dass irgendjemand anderes etwas entscheiden muss. Die meisten Situationen, wo man als bevollmächtigte Person gefragt ist, sind sicher auch viel eindeutiger als wie es bei meiner Schwiegermutter der Fall war. Es sind eher Situationen, wo für alle klar ist, dass ein Weiterleben nur noch Quälerei wäre.
Mehr zum Thema Vorsorge findet ihr in meinem Beitrag ´Der rote Ordner´.