Wortbedeutung
Viele zucken zusammen, wenn sie das Wort „palliativ“ hören, weil man natürlich sofort an Tod und Sterben denkt.
Ja, es stimmt, wer eine palliative Betreuung in Anspruch nehmen muss, hat eine unheilbare Diagnose.
Palliativ hat aber an sich eine positive Bedeutung.
Palliativ leitet sich von lateinisch pallium „Mantel“ ab und bedeutet wörtlich „ummantelnd“. Ist das nicht ein wunderbarer Gedanke? Den schwer Kranken zu „ummanteln“, einzuhüllen in Hilfe, Schutz, Geborgenheit?
Die Palliativtherapie ist eine Therapie, die nicht auf Heilung abzielt sondern Symptome lindert. Sie kann beginnen sobald man eine Diagnose „unheilbar“ hat. So kann sie auch schon bei der palliativen Chemotherapie unterstützen und helfen die Nebenwirkungen zu lindern.
Sie dient letztendlich der Verbesserung der Lebensqualität und ist dabei ganz nah beim Patienten. Es geht zum Beispiel um die gemeinsame Überlegung, wieviel Schmerzmittel genommen werden sollte. Auf sich verändernde Situationen kann schnell reagiert werden. Meist ist es eine Kombination aus Palliativarzt und Palliativdienst. Somit wird dann eine 24-Stunden-Erreichbarkeit möglich.
Glaubt mir, auch wenn ich mich zunächst gescheut habe da nachts anzurufen, es ist ein so beruhigendes Gefühl es zu können …
Der Weg dahin
Eigentlich einfach – sofern man den Betroffenen vom Nutzen überzeugen kann, was sicher zunächst einmal eine echte Herausforderung ist. Ich habe es mit dem Begriff „Ummanteln“ geschafft.
Bedingung ist zunächst die Diagnose einer unheilbaren Krankheit mit einer begrenzten Lebenszeit. Für den Besuch beim Palliativarzt braucht man dann „nur“ eine Überweisung vom Hausarzt. „Nur“ ist gut, denn unser Hausarzt war dagegen, hielt so gar nichts vom Palliativdienst. „Da kommen dann nur irgendwelche Frauen, die helfen Ihnen auch nicht weiter.“
Doch ich war hartnäckig und so hat er sie uns dann doch ausgestellt.
In Oberhausen war es so, dass die Palliativärzte entsprechend dem Wohngebiet eingeteilt waren und so hatte ich schnell, den für uns Zuständigen herausgefunden. Der Erstkontakt am Telefon war gut. Ich habe kurzfristig einen Termin bekommen und durfte auch zum Erstgespräch alleine kommen. Ich bin so froh, dass ich das gemacht habe. Bitte wagt diesen Schritt in einer vergleichbaren Situation.
Der Arzt hat sich für mich viel Zeit genommen. Dann hat er mich mit dem Satz geschockt: „Ich komme dann heute Nachmittag bei Ihnen vorbei.“ Puuh, an sich toll, aber mein Mann war ja noch gar nicht so wirklich überzeugt. Wäre er damit einverstanden? Der Arzt nahm mir die Bedenken, in dem er sinngemäß äußerte als Freund zu kommen. Mein Mann würde gar nicht merken, dass ein Arzt da sei.
Der erste Besuch
Mein Mann war dann tatsächlich mit dem Arztbesuch einverstanden und zum Glück waren die beiden tatsächlich gleich auf der selben Wellenlänge. Sie haben sich gut über alles Mögliche unterhalten und nur so nebenbei floss das Medizinische ein.
Und dann kam dieser Moment, den ich niemals vergessen werde. Der schönste Liebesbeweis, den mein Mann mir je gemacht hat und ja, ich habe das in einem anderen Artikel auch schon drin, weil es mich einfach so unendlich bewegt hat und auch immer noch bewegt.
Der Arzt fragt meinen Mann nach seiner größten Sorge und erwartete sicher so etwas wie: Angst vor dem Sterben, große Schmerzen oder Pflegebedürftigkeit. Aber nicht bei meinem Mann! Seine größte Sorge galt mir ♥.
„Ich habe Angst, dass meine Frau sich nach meinem Tod verkriecht.“
Liebesbeweis und Aufgabe zugleich. Auch jetzt habe ich wieder Gänsehaut.
Der weitere Verlauf
Da es meinem Mann noch relativ gut ging, kam der Arzt zunächst einmal in der Woche. Mein Mann hat von Wohnmobilreisen erzählt und ja, er kam als Freund und als Arzt. Wir haben hierbei etwas über Schafzucht gelernt.
Immer stand die Lebensqualität im Vordergrund und hier konnte er wirklich helfen, zum Beispiel was die Nebenwirkungen der Chemo betraf. Er konnte die Angst vor Schmerzmedikamenten und die Scheu vor Morphium nehmen. Vor allem konnte er gut beraten und unterstützen, als mein Mann die Chemo dann abbrechen wollte und auch abgebrochen hat.
Sein Besuch galt aber auch mir. Er hat auch mich mitbetreut, gefragt wie es mir geht, ob ich Hilfe bräuchte. Er war es dann auch, der mir den Kontakt zum ambulanten Hozpizdienst empfohlen hat. So habe ich eine sehr nette Dame gefunden, bei der ich meine Sorgen und Nöten los werden konnte. Durch Corona leider nur telefonisch.
Der Palliativdienst
Als sich der Zustand meines Mannes verschlechtert hat, wurde der Palliativdienst eingeschaltet. Dieser kam dann zunächst zweimal die Woche.
Der Palliativdienst ist aber bitte nicht mit einem Pflegedienst zu verwechseln. Dieser ist eher Bindeglied zwischen Arzt und Patient. Er kommt, um den Zustand und Bedarf zu erfragen und diesen dann an den behandelnden Arzt weiterzuleiten. Er übernimmt auf Wunsch den medizinischen Teil der Versorgung wie Verbandswechsel, Dekubitusversorgung, Morphiumspritzen setzen oder Pflaster wechseln.
Hiermit ist dann auch der 24-Stunden-Kontakt gewährleistet.
Am Ende kam der Palliativdienst dann einmal täglich und zusätzlich bei Bedarf. Am Ende des Leidensweges meines Mannes habe ich dies auch tatsächlich mal nachts in Anspruch nehmen müssen.
Unser Engel
Ich habe bewusst einen Engel für das Foto gewählt, weil uns mit diesem Arzt in dieser ach so schweren Zeit ein Engel begegnet ist. Ja, es klingt kitschig, aber unser Arzt war einfach ein Engel, war ein ganz besonderer Mensch. Wir waren ihm als Menschen wichtig. Er hat alles angesprochen und auch die Überlegung „Hospiz“ in den Raum gestellt. Für viele sicher auch eine Erleichterung, wenn dieses von neutraler Seite angesprochen wird. Er ist unserem Weg gefolgt, hat Hinweise gegeben, aber nicht diskutiert. Er hat die Entscheidung, in kein Krankenhaus mehr zu wollen sofort akzeptiert und ist auch sehr einfühlsam mit dem Thema Morphium umgegangen. Mein Mann hat Schmerzmittel zunächst völlig abgelehnt, aber durch ihn dann doch gemerkt, dass diese zur Lebensqualität beitragen.
Schön war auch seine Aussage, dass er uns nicht beim Sterben sondern beim Leben helfen wolle. Sein Ziel war die Lebensqualität bis zum letzten Moment zu erhalten. Er sprach auch von einer Statistik, dass Menschen, die palliativ gut versorgt werden, länger leben als andere und vor allem auch länger leben wollen.
Als es meinem Mann immer schlechter ging, ist er sogar von sich aus an einem Feiertag gekommen. Sogar als er eigentlich bereits seit ein paar Stunden Urlaub hatte, war er noch ein letztes Mal bei uns.
Bei der Verabschiedung hat er dann angedeutet, dass wir uns wohl nicht mehr sehen würden. Er hat mich eingeladen, ich dürfe auch jeder Zeit nach dem Tod von Klaus in seine Praxis kommen, wenn ich das Bedürfnis hätte nochmal reden zu wollen.
Und obwohl dieser Arzt soviel macht, dass die Zeit am Tag eigentlich nie ausreichen kann, möchte er, dass Patienten so früh wie möglich und nicht erst dann, wenn die letzten Wochen beginnen, Kontakt zu ihm aufnehmen. Je besser er den Patienten kennt, um so besser kann er natürlich am Ende helfen.
Ich wünsche allen, die diese Art Hilfe suchen müssen, dass sie ebenfalls auf so einen engagierten und empathischen Arzt treffen. Auch die Mitarbeiter vom Palliativdienst kann ich alle nur loben. Besonders der Pfleger, der die letzten Tage mit uns durchgestanden hat, war mir so eine große moralische, ermotionale und praktische Unterstützung.
Danke.