Diese Geschichte entstand im Rahmen unserer Teamaktion. Die als Zitat markierten Stellen, stammen von den Autoren aus „The U-Files – Die Einhornchroniken“. Hier gibt es ausführliche Informationen zur Aktion.

(c) für die Geschichte by Nadja Schreiber

Quelle: Pixabay – cocoparisienne CC0 Liezenz

Sein Leben ist stinklangweilig. Man könnte denken, so ein Leben als Privatdetektiv ist spannend, aber das ist es seiner (und meiner) Meinung nach nicht. Es ist sterbenslangweilig! Klar, er wird auch hauptsächlich engagiert, um verlorengegangene Honigfeen oder Tierkinder wiederzufinden – ja, Honigfeen. Dass diese zickigen, und noch dazu faulen Wesen namens Bienen den Honig herstellen, ist genauso ein Mythos, wie dass man so einfach auf ein Einhorn steigen und mit ihm wegreiten kann. Pustekuchen! Nix mit „Komm Einhorn, wir gehen“! Obwohl… Gehen ja, Einhorn nein. Wenn man denn mit einem Dutzend blauer Flecken am Po noch gehen kann, denn diese Einhörner sind alles andere als pflegeleicht. Aber wenn man sie irgendwann mal dazubekommt, einem zu gehorchen, sind sie schon ganz nett.

Gelangweilt sitzt er an seinem Schreibtisch – wenn man eine Holzplatte auf ein paar aufeinandergestapelten Heuballen mit jede Menge Ramsch drauf so nennen kann – und denkt vielleicht über all dies nach. Ich jedenfalls tue es, denn mehr haben wir beide nicht zu tun. Keine Honigfeensuche, keine ängstlichen Tiermütter und kein Einhorn.

Es schnaubt neben mir. Okay, vergesst den letzten Satz. Neben mir liegt tatsächlich ein Einhorn im Arbeitszimmer – von so etwas wie einem Stall hat der werte Herr Privatdetektiv nämlich noch nie etwas gehört – weil er es nicht wollte.

Ich habe ihm schon oft zu verklickern versucht, dass…

Das Einhorn neben mir steht auf. Pina, so heißt es, flüstert etwas in meinem Kopf. Einhörner können sich mit unsereins verständigen – denn wir sind Elfen. Vielleicht nicht so direkt wie Tinkabell – ich bin bei weitem nicht so launisch wie sie! – aber wir sehen schon ein wenig so aus.

„Ähm…“, ich räuspere mich. „Pina hat etwas gehört.“

Der gelangweilte Detektiv – er hat tatsächlich einen Namen, nämlich Julius – hebt genervt den Kopf. „Um was geht’s?“

„Es ist wohl etwas in einem der umliegenden Wälder passiert“, antworte ich ihm vage. „Sie sagt, du sollst so schnell wie möglich los.“

„Na super.“ Ächzend erhebt Julius sich und streckt sich. Dann macht er ein paar Schritte in unsere Richtung und guckt genervt.

Er hievt sich umständlich auf den Rücken des Einhorns. »Ich hoffe, dass das, was du mir zeigen willst, nicht bloß ein alberner Heuballen ist! Menschen ticken da ein wenig anders als Pferde.« Unverhofft bäumt sich das Tier auf, wiehert und prescht los. Nach einem kurzen Anlauf entlang der Leitplanke folgt ein Sprung über eine Brombeerhecke mitten ins Gehölz.

Eilig fliege ich ihnen nach. Julius kann manchmal etwas ruppig rüberkommen, dabei ist er ein wirklich netter Kerl, wenn man hinter seine brummelige Fassade schaut. Er tut gern so, als würde er nichts und niemanden außer sich selbst mögen, aber eigentlich liebt er seine Arbeit, und ich behaupte mal, mich und Pina mag er auch ganz gern. Na ja, zumindest mich. Das mit Pina und ihm ist etwas komplizierter. Als sie zu ihm kam war er extrem angefressen, aber inzwischen hat er sich damit abgefunden, dass er weder Pina, noch mich loswird. Damals hatte er jemandem dafür die Schuld gegeben, aber das ist eine andere Sache. Moment, ich zeige euch einmal kurz, was damals passiert ist:

»Ist das dein Ernst?« Er deutete mit beiden Händen auf das Einhorn und starrte genervt gen Himmel. »Du schickst mir einen Gaul? Sind dir die verdammten Engel ausgegangen?« »Niemand schickt mich!« Das Tier näherte sich ihm und bewegte dabei die Lippen. »Ich bin wie Sie, edler Herr, nicht hier und nicht da.«

Tja, eigentlich kann Pina nicht reden. Die Lippen bewegen kann sie – genau wie jedes pferdeähnliche Wesen. Allerdings liebt sie es, in Gedanken mit einem zu sprechen (auch wenn sie das bei Menschen eine ganze Menge Kraft kostet) und dabei die Lippen zu bewegen. Einen Schrecken jagt sie den Menschen dabei nicht selten ein. Und das mit Absicht!

Aber wieder zurück zu ihm. Julius reitet erstaunlich gut, wenn man bedenkt, dass er Pina anfangs gar nicht leiden konnte.

Pina gibt mir zu verstehen, dass wir bald da sind. Wo auch immer „da“ sein soll…

Plötzlich hören wir es. Mist!

Das hilflose Rufen eines Kindes schallt durch den Wald. „Hilfe! Ist hier jemand? Hallo?“ Kläglich verstummt es. Schnell rufe ich zurück: „Hier, wir sind hier! Wo bist du?“ Hoffentlich hört man mich überhaupt… Feen haben so die Angewohnheit, nicht so laut sprechen zu können – wir sind halt eher klein… Aber der Junge hat mich gehört. Wusstet ihr, dass Kinder höhere Frequenzen wahrnehmen können als Erwachsene? Sehr praktisch in diesem Fall!

„Ich bin auf einer Lichtung mit ganz vielen Beeren. Helft mir bitte! Aua, tut das weh!“

Wir kommen immer näher, denn Pina weiß anscheinend sogar ohne die Beschreibung des Jungen, wo sie hinmuss.

Die Bäume um uns herum werden immer weniger und der Wald lichtet sich.

Da! Da sitzt ein kleiner Junge im Gras und hält sich den Fuß. Ist das etwa?… Oh nein, tatsächlich! Eine Gnom-Falle! Ich schlage mir die Hände vor den Mund und fliege eilig zu dem Jungen. „Geht es dir gut? Hast du dich verletzt? Zeig mal her!“

Er zeigt auf sein Bein. „Hier, hier tut’s weh. Und es blutet!“ Es stimmt. An dem Bein des Jungen ist eine große, blutige Wunde, in der immer noch die Fessel steckt.

Jetzt kommt auch Bewegung in den sonst so langsamen Privatdetektiv. Vorsichtig kniet er sich vor den Jungen. „Pass auf“, sagt er ernst. „Ich werde dich jetzt aus der Falle befreien, aber das könnte wehtun, okay?“ Ängstlich nickt der Junge. „Okay.“

„Lenk ihn ab“, flüstere ich Julius leise ins Ohr. „Das lindert den Schmerz.“

Er nickt und fragt den Jungen: „Wie heißt du denn? Ich bin Julius.“

„Ich heiße Juri und komme aus dem Nachbarland“, antwortet der Junge ehrlich. Während er redet, bewegt Julius die Falle ganz vorsichtig und langsam. So viel liebevolle Achtsamkeit hätte ich ihm gar nicht zugetraut.

„Und wie kommt es, dass du jetzt ganz allein hier bist, im Wald?“, fragt Julius weiter.

„Ich musste mit meinem Papa hierher, weil es dort nicht mehr sicher ist. Und jetzt ist Papa weg“, antwortet er unglücklich.

„Oh nein!“, rufe ich entsetzt. „Wo ist er denn jetzt?“

„Das ist eine lange Geschichte“, sagt er, wie ein Erwachsener.

„Wir haben Zeit“, sage ich ihm, denn es entspricht ja der Wahrheit. Sonst haben wir ja tatsächlich nichts zu tun.

„Also, das war so…“

Abgesehen von diversen Reisen in die drei Nachbarstädte, denen er in seiner Funktion als Leibgarde des Königs von Ludvijen beigewohnt hatte, war er nie weit von den Mauern seiner Heimatstadt weggekommen. Da wollte er sich ganz gewiss nicht auch noch in seiner spärlichen Freizeit mit deren Belangen oder gar seiner Arbeit beschäftigen. Viel lieber sah er zu, wie über ihm eine Gruppe Schwalben durch die Lüfte tanzte und sich die Farbe des Himmels in aller Seelenruhe verdunkelte. Der schwarze Schatten, der für den Bruchteil einer Sekunde durch sein Sichtfeld huschte, entging ihm dabei gänzlich. Die sich ihm kurz darauf vom Waldrand aus nähernden, bedächtigen Schritte bemerkte er jedoch sofort, richtete sich verwundert auf und fand sich einem Wesen gegenüber, dessen Besuch ihm ausgerechnet jetzt unwillkommener nicht sein konnte.

„Sie haben ihn gefangengenommen, mithilfe eines ziemlich großen, fiesen Gnoms. Ich konnte aber entwischen. Papa sagte, dass ich weglaufen soll, und das habe ich getan. Und ich soll ihn nicht suchen.“

Armer Junge. So klein, und schon so viel innerhalb weniger Stunden erlebt. „Wie alt bist du eigentlich?“, fragte Julius das, was ich auch gern wüsste.

„Ich bin zehn, aber ich werde bald elf“, antwortet er stolz. „Au!“, ruft er dann, denn Julius hat die Falle nun komplett aus seinem Bein gezogen.

„Wir bringen dich erstmal zu uns, und dann sehen wir weiter“, bestimmt er.

Mit schmerzverzerrtem Gesicht nickt Juri.

Am Abend – wir haben Juri gepflegt und versorgt, keine Sorge – essen die beiden gemeinsam zu Abend. Pina und ich können nicht von Menschennahrung leben, also essen wir nicht, sondern sitzen einfach daneben (beziehungsweise stehen. Habt ihr schon mal ein Einhorn sitzen sehen?). Obwohl Juri verletzt ist, ist er total energiegeladen und ich musste ihm Rede und Antwort stehen, weil Julius meinte, ich könne das besser. Also hatte ich ihm auf all seine Fragen zu mir, Pina und Julius geantwortet, ihm erklärt, wo er sei, was wir machen und noch auf tausend weitere Fragen.

Jetzt sitzt er hungrig auf seinem Stuhl, gegenüber von unserem auf einmal überhaupt nicht mehr brummeligen Detektiv, vor ihm ein Krug mit Apfelsaft. Das Verhältnis von dem kleinen Jungen und dem großen Krug ist echt schräg, das könnt ihr mir glauben!

„Juri, wie kam es denn, dass dein Vater gefangengenommen wurde?“

Der Kleine zuckt zusammen. Das ist wohl ein wunder Punkt. Oh je…

„Er hat einen ziemlich gefährlichen und bösen Beruf. Er nannte sich immer ‚Auftragsgriller‘.“

„Oh nein.“ Meine Stimme klingt tonlos und ich sehe zu Julius. Er sieht ebenfalls ziemlich besorgt aus. Ein Killer…

Vorsichtig fliege ich zu Juri und lasse mich auf seiner Schulter nieder. In der Hoffnung, ihn ein wenig abzulenken, stupse ich ihn an und sage sanft: „Trink noch etwas Saft. Wir haben auch noch Honig von den Honigfeen“, zwinkere ich.

Juri zuckt erneut zusammen. Vorsichtig werfe ich einen Blick auf seine Gedanken.

Er setzte den Krug an die Lippen und trank ihn mit einem Zug zur Hälfte aus. „Hast du Honig?“ Das Gesicht der Alten verfinsterte sich. „Ihr kommt, um mich zu töten, trinkt vorher meine Milch und verlangt noch Honig dazu?“ „So wie ich das sehe, hast du einen Auftrag für mich. Und der lautet: Findet den wahren Grund für das Verschwinden der Kinder. Bezahlen kannst du mich nicht, das sehe ich ebenfalls.“

Ich umarme den Jungen vorsichtig. „Es ist alles gut. Wir sind für dich da, wenn du reden willst.“

Er nickt und steht vorsichtig auf. Julius tut es ihm gleich und geht zu ihm. „Soll ich dich nach oben tragen, damit du ein wenig schlafen kannst?“

Juri nickt abermals und lässt sich von dem wie ausgewechselten Julius nach oben ins Gästezimmer tragen.

Die nächsten Tage verliefen ruhig, und wir ließen den kleinen Juri in unseren Alltag. Er lebte bei uns, und wirbelte vor allem Julius‘ Leben durcheinander. Dieser kümmerte sich wie ein Vater um Juri, und Juri fand es toll, einen Detektiv als Ersatzpapa zu haben.

Heute sind die beiden gemeinsam auf Honigfeensuche gegangen. Auf einmal hat der gelangweilte Detektiv also doch ein bisschen Lust darauf. Juri will überall mitmischen, was das Detektivsein angeht (in dem Punkt entspricht er ganz dem Klischee von den neugierigen Kindern!), und Julius hat endlich Spaß an seinem Job. Etwas Besseres konnten Pina und ich uns in diesem Moment nicht vorstellen.

Wieder einmal höre ich Pina in meinem Kopf flüstern. On nein, das ist gar nicht gut.

Juri und Julius haben sich anscheinend verlaufen. Wie haben die beiden das denn geschafft?

Kopfschüttelnd mache ich mich auf den Weg. Pina bleibt Zuhause, sie käme sich sonst ziemlich überflüssig vor – Komplexe eines Einhorns. Muss man nicht verstehen.

Ich konzentrierte mich und fokussierte mich auf mein Inneres. Schließe deine Augen und richte deinen Blick nach innen. Das hatte meine Lehrerin früher immer gesagt, und auch dieses Mal funktioniert es. Ich konnte eine Karte vor meinem inneren Auge sehen und flog los.

Nach einer halben Ewigkeit entdecke ich eine Scheune, und beschließe, eine Pause zu machen. Wie lange sind Julius und Juri denn gelaufen?

Der Einsatz der Magie hatte noch etwas mehr an meinen Kräften gezehrt. Daher blieb ich weiter in dem muffigen Gebäude sitzen. Mit kindlicher Begeisterung beobachtete ich die kleinen Staubpartikel, die in dem kalten Sonnenstrahl, der durch ein Loch in der gegenüberliegenden Wand drang, tanzten. Sie reckten sich in die Höhe, sanken elegant wieder zu Boden, nur um erneut ihren Tanz zu beginnen. Hätte ich nicht etwas zu tun gehabt, ich wäre noch eine ganze Weile hier sitzen geblieben, aber ich wollte bald den Wald erreichen.

Ja, den Wald. Ich bin nämlich immer noch nicht wirklich im Wald, aber bald bin ich zumindest in der Nähe der beiden.

Einige Minuten später höre ich die beiden endlich diskutieren. Wie Vater und Sohn. Wer ist schuld, dass die beiden sich verlaufen haben? Keiner der beiden will es zugeben. Lächelnd fliege ich näher.

„He ihr beiden, wollt ihr nicht langsam mal nach Hause?“ Grinsend schwebe ich in der Luft und winke den beiden zu.

Juri läuft erleichtert auf mich zu und strahlt mich an. „Danke! Wenn wir uns nicht wegen Julius verlaufen hätten, wären wir schon lange zuhause gewesen.“

Weiterstreitend gehen die beiden hinter mir her, und ich bin mir sicher, dass Juri noch viel mehr Abenteuer mit uns erleben wird. Wer die Schuld daran tragen wird, ist da ja wohl egal, oder? 😉