
Krebs ist ein Arschloch und das Leben zu kurz, um es nicht zu leben. Ich habe keinen Krebs und kann das leicht sagen. Sabine Dinkel ist an Krebs erkrankt und ich kann von ihr lernen, lernen mein eigenes Leben zu schätzen und es zu leben, vor allem schöne Momente zu genießen. Ich weiß das, aber manchmal muss ich mir das bewusst machen.
Ernst und Humor darf das zusammen kommen?
Ich finde ja, denn Humor tut gut und in allem Elend brauchen wir dringend glückliche Momente und dringend Lebensfreude. Doch Humor braucht auch das richtige Timing. Jemanden, dem es gerade sehr schlecht geht, krampfhaft zum Lachen zu bringen ist unfair, zeugt von Unverständnis. Mit jemandem lachen, dem es sehr schlecht geht, kann beiden sehr gut tun.
Passend hierzu ein Zitat aus dem Vorwort von Inge Wollschläger (Blog Notaufnahmeschwester):
„Den Schmerz mit Humor den scharfen Stachel nehmen“, haben wir es einmal genannt.
(Meine Arschbombe in die Untiefen des Lebens, Sabine Dinkel, Vorwort, Seite 11)
Ziel der Autorin
Im Krankenhaus begann Sabine Dinkel damit Comics zu zeichnen. Diese veröffentlichte sie zunächst auf Facebook und hielt so Freunde auf dem Laufenden wie es ihr ging.
Gleichzeitig möchte ich anderen mit meiner Geschichte Mut machen. Es geht mir darum, auch in der fiesesten Krise einen Sinn zu sehen.
(Meine Arschbombe in die Untiefen des Lebens, Sabine Dinkel, Seite 13)
Kein Beschönigen
Die Autorin schafft es tatsächlich ihr Leid locker flockig zu schildern, dabei wird trotzdem deutlich wie sehr sie die Diagnose mitgenommen hat und sie sich bereits dem Umzug auf dem Friedhof nahe wähnte.
Nichts schmeckt und keine Lust auf gar nichts, auch diese üble Phase wird nicht beschönigt, wenn auch selbstironisch inszeniert.
So humorvoll sie auch schreibt, berührt mich ihre Geschichte auch und ich beruhige mich selbst beim Lesen, dass sie die Geschichte überlebt, denn sonst hätte sie sie nicht beenden können, denn ich habe zwischendurch Angst um sie.
Wertvoll an dem Buch sind auch die kleinen Tipps für Angehörige, banal und doch so wichtig: Fragt was die Person braucht, besser als selber denken und das falsche tun! Meine Schwiegermutter konnte ich in der Phase als sie sich nur noch von Spezialdrinks ernährt hatte, Abwechslung verschaffen auf die ich selbst nie gekommen wäre, wenn wir nicht geredet hätten: Frischer Grapefruit-Saft – widerlich sauer für mich, aber sie strahlte – und alkoholfreier Caipirinha – selbst mit Alkohol nicht mein Fall.
Ein Graben zwischen Gesunden und Kranken
Auf der einen Seite, die chronisch Kranken, auf der anderen die Gesunden, dazwischen ein unüberwindbarer Graben. So empfindet es Sabine Dinkel. Sie selbst hat keine Chance mehr, zurück auf die andere Seite zu kommen, selbst dann nicht, wenn ihr Krebs heilbar wäre. Die Angst bleibt, der Krebs könne zurück kommen, Kontrolltermine bleiben.
Ein zweiter Aspekt dieses Grabens ist die Distanz, die wir Gesunden wahren, aus eigenen Befindlichkeiten und Verlustängsten, wie Sabine schreibt. Diesen Eindruck teilt sie mit zahlreichen anderen Erkrankten mit denen sie gesprochen hat.
Denn sie tun es vor allem aus Angst um sich selbst. Aus Angst, um die unguten Gefühle, die ein Umgang mit dem Erkrankten auslöst. Aus Angst, das nicht zu ertragen. Aus Angst nicht die richtigen Worte zu finden. Aus Angst, zu versagen.
(Meine Arschbombe in die Untiefen des Lebens, Sabine Dinkel, Seite 117)
Diese Ängste sind nicht unbegründet, die Situation schwierig und es gibt keine eindeutige Antwort. Jede erkrankte Person ist anders, hat unterschiedliche Bedürfnisse und geht anders mit der eigenen Erkrankung um. Dann gibt es auch noch unterschiedliche Phasen, in denen sich die Person anders verhält und sich ein unterschiedliches Verhalten von den Mitmenschen wünscht. Ich denke, es gibt nur einen Weg: das offene Gespräch. Je näher ihr euch steht, desto wichtiger ist es, offen zu fragen: Was brauchst du? oder anzubieten: Ich höre dir zu, wenn du es brauchst. Letzteres aber bitte nur, wenn du wirklich bereit dazu bist.
Das Buch von Sabine Dinkel kann vielleicht ein wenig dazu beitragen Berührungsängste abzubauen. Sie zeigt, dass unheilbar kranke Menschen, nicht immer nur krank sind. Sie leben noch!
Lebenszeit ist kostbar
Meine Lebenszeit ist kostbar und nicht in Geld aufzuwiegen.
(Meine Arschbombe in die Untiefen des Lebens, Sabine Dinkel, Seite 138)
Zu dieser Einsicht bin ich auch nach drei Wochen Grippe gekommen. Gegen Ende dieser zweiten von inzwischen drei Infektphasen innerhalb von fünf Monaten, habe ich das Buch gelesen. Völlig ausgenoggt wurde mir klar, dass ich mehr auf mich achten muss, sonst kann ich für niemanden da sein.
Für wen ist das Buch?
Für alle, die sich nicht scheuen es zu lesen!
Es ist eine persönliche Geschichte. Jede Krankengeschichte verläuft anders. Doch so manches haben viele gemeinsam und davon musste auch Sabine Dinkel einiges erleben.
Die Geschichte ist sicher nicht nur für Menschen wertvoll, die selbst direkt oder als Angehörige vom Krebs betroffen sind. Auch alle anderen (gibt es die überhaupt?) finden möglicherweise wertvolle Inspiration. Sabine Dinkel nimmt uns nicht nur mit durch ihren Leidensweg, auch durch das Wideraufstehen und zurück in den Alltag finden.
Was ist uns eigentlich wirklich wichtig im Leben?
Ich habe schon oft gehört, dass Menschen sich nach schweren Erkrankung oder anderen Krisen auf das Wesentliche in ihrem Leben besinnen.
Können wir das nicht schon vorher?
Vielleicht kann dieses Buch ein wenig dabei helfen, quasi stellvertretend in wenigen Stunden Sabine auf ihrem Weg begleiten und für uns selbst ein wenig nachdenken, begreifen. Vielleicht ist es möglich unseren Alltag ein wenig glücklicher zu gestalten.
Wann ist der richtige Zeitpunkt für das Buch?
Das muss jeder selbst wissen, fühlen.
Ich habe es im Ausklang einer hartnäckigen Grippe gelesen, kurz vor dem 6. Todestag meiner Schwiegermutter (war mir nicht bewusst, als ich nach dem Buch griff). Vieles kam mir als Angehörige bekannt vor. Als mir das Buch vorgeschlagene wurde, steckte ich noch mitten drin im Nervenbündel sein, Dank eines Dramas, welches ich in erster Reihe miterlebte „Es ist harmlos – hmm Mal gucken – ganz böser Tumor – gutartiger riesiger Tumor, wir wissen nicht, wie wir behandeln sollen“ bis sich letztendlich herausstellte, dass es gar kein Tumor ist …
Mitten in dieser belastenden Phase hätte ich das Buch nicht lesen mögen, glaube ich. Doch vielleicht hätte es zwischen drin Momente gegeben … In der Zwischenzeit hat ein mir sehr nahestehender Mensch die Diagnose Krebs erhalten, daher erscheint der Beitrag auch erst später – Notizen sei dank, kein Problem.
Wenn du dich mit dem Arschloch Krebs auseinander setzen möchtest oder musst, empfehle ich dir, dieses Buch bereit zu legen und in dem für dich richtigen Moment in die Hand zu nehmen. Vielleicht spricht dich aber auch ein anderes Buch eher an. Weissewolke hat kürzlich „Dieses so kostbare Leben“ vorgestellt, welches sich dem Thema Sterben aus der Perspektive einer Angehörigen widmet.
Lebe, trotz und mit dem Krebs
OPs sind scheiße, Chemo ist scheiße.
Dazwischen und vor allem danach hat das Leben einiges zu bieten. Sich über kleine Dinge freuen, einfach zusammen sein, das schafft wertvolle Lebensmomente.
Danke
Ein Lob an das Pflegepersonal, großartig, was ihr leistet, und nicht zu vergessen Dr H, der dringend geklont werden muss.
Es ist so schön zu sehen, wenn die fleißigen Helferlein ihren Job so lieben und diesen – trotz der oft biestigen Rahmenbedingungen – ganz wunderbar ausüben.
(Meine Arschbombe in die Untiefen des Lebens, Sabine Dinkel, Seite 143)
Danke, liebe Sabine, dass du deine Geschichte mit uns teilst. Ich wünsche dir alles Gute, viel Kraft für die schwierigen Zeiten und dass du noch viele glückliche Momente erleben darfst!
Das Buch wurde mir vom HAWEWE Verlag zur Verfügung gestellt.
Meine Arschbombe in die Untiefen des Lebens – Comic-Tagebuch einer Krebserkrankung
HAWEWE, 2018
ISBN: 978-3-947815-77-7