
Ich möchte jetzt nicht darauf eingehen, wie viele Menschen in dieser Zeit einsam und ohne Begleitung sterben mussten. Dafür fehlen mir die Worte. Dieser Gedanke macht mich unendlich traurig und auch wütend, löst ein Gefühlschaos ohne Ende in mir aus.
Mein tiefes Mitgefühl gilt allen, die hiervon in irgendeiner Form betroffen waren.
Ich möchte hier auf unsere persönliche Situation eingehen, die sicher auch bei einigen ähnlich war.
Unsere Situation
Als wäre die Diagnose „Krebs unheilbar“ nicht schon schlimm genug, kam dann auch noch Corona. Zum Glück gab es das nicht schon in der ersten Phase als mein Mann im Krankenhaus lag, aber in seinen letzten Lebensmonaten gab es den Logdown, die Kontaktsperre, das nicht verreisen dürfen.
So haben wir zwar unser letztes gemeinsames Weihnachten noch im engeren Familienkreis gefeiert, durften Silvester 19/20 noch eine Flusskreuzfahrt machen, aber das letzte Osterfest (Ostern hatte in unserer Familie immer einen besonderen Stellenwert) und auch seinen letzten Geburtstag haben wir nur zu Zweit verbracht.
Wie war das für meinen Mann?
Er hatte sehr große Angst sich mit Corona anzustecken und so dann vielleicht doch noch in ein Krankenhaus zu müssen, etwas, das er auf gar keinen Fall mehr wollte. So ist er sehr auf Abstand gegangen, hat bei Einkäufen eher im Auto gewartet und Kontakte so gut es ging vermieden.
Die Kontakteinschränkungen an sich waren für ihn tatsächlich nicht so schlimm, da er gerne seine Ruhe hatte und er war eher froh, so elegant seiner Geburtstagsfeier entkommen zu sein.
Worunter er aber am meisten gelitten hatte, war nicht essen gehen zu können und nicht mehr Verreisen zu dürfen. Er hätte die letzten Monate sicher komplett woanders verbracht, wenn es gegangen wäre. Dabei hatten wir das Glück in den 15 Monaten seit der Diagnose noch sehr viel miteinander erleben zu dürfen. Mehrfach waren wir für ein paar Tage oder auch mal eine Woche weg, die jeweiligen Zeitfenster zwischen den Chemos ausnutzend.
Im Februar 2020 waren wir noch einmal in Greetsiel gewesen, ein Ort, den mein Mann ganz besonders geliebt hat.
Danach ging dann Corona bedingt nichts mehr und Klaus hat den Tag herbei gesehnt, wo wenigstens das Übernachten in Ferienwohnungen wieder erlaubt sein würde. Wir haben dann auch die erste mögliche Nacht genutzt und hatten Mitte Mai noch ein paar schöne Tage an der Mosel, auch wenn er hier nur noch sehr kurze Strecken mit mir laufen konnte. Und dann unsere letzte Reise kurz vor seinem Tod nach Bad-Neuenahr, wo unsere drei Mädels uns sogar noch besucht haben.
Aber das alles war ihm nicht genug. Es gab noch so viele Reisen, die er gerne gemacht hätte, so vieles was er gerne noch einmal gesehen oder neu kennen gelernt hätte.
Besonders schlimm war für ihn, dass die für April 2020 geplante Hurtigruten-Schiffsreise abgesagt worden war. Das wäre für uns beide eine Traumreise gewesen, auf die wir uns sehr gefreut hatten.
Wie war das für unsere Familie?
Sicher schwierig. Dieses Abwägen des Risikos der Corona-Übertragung an einen extrem geschwächten Menschen auf der einen Seite, auf der anderen Seite aber auch die Möglichkeit, dass vielleicht nicht mehr viel gemeinsame Zeit bleibt. Wobei mein Mann in dieser Beziehung immer soviel Zuversicht verbreitet hat, dass die Angst vor der Corona Übertragung überwogen hat.
Ganz sicher kamen im Nachhinein Gedanken wie „Wenn man gewusst hätte, dass es sein letzter Geburtstag sein würde …“ Aber für ihn war es so gut und somit war es genau so richtig.
Es gibt zum Trost ein nettes Video von dem Tag als er mit den Mädels telefoniert und deren Geschenk, das per Post gekommen war, auspackt.
Und für mich?
Erst einmal extrem schwierig. Zunächst war da natürlich auch bei mir die große Angst, an Corona zu erkranken, die große Angst auszufallen, nicht mehr für meinen Mann da sein zu können und so war auch ich vorsichtig. Ich habe aber trotzdem vermeidbare Kontakte gehabt, brauchte das um zwischendurch auch mal Kraft zu sammeln. Hinzu kam ein schlechtes Gewissen, weil ich dadurch meine Eltern nur selten gesehen habe.
Am Schlimmsten hat mich das Abstandhalten getroffen. Ich bin ein Mensch, der von Umarmungen lebt. Ich umarme auch ganz spontan Menschen, die ich lange nicht gesehen habe, umarme Menschen, die einfach gerade nur traurig sind und ja, ich brauche Umarmungen, brauche Nähe. Das war das, was mir in dieser so schweren Zeit unendlich gefehlt hat, in der Zeit, wo mir Umarmungen sicher Kraft hätten geben können.
Auch der Hospizdienst, den ich zu meiner Begleitung um Hilfe gebeten hatte (mein Mann wollte keine Betreuung), konnte in dieser Coronasituation nicht so viel für mich tun, wie es zu normalen Zeiten möglich gewesen wäre. Immerhin gab es einen lieben telefonischen Kontakt, der mir auch gut getan hat.
Allerdings hat uns diese Coronazeit durch ihre Einschränkungen auch noch mehr Zeit zu Zweit geschenkt.
Ich muss sagen, wir haben noch ganz viel Glück gehabt, es hätte uns sehr viel schlimmer treffen können und es hat viele sehr viel schlimmer getroffen. Dessen bin ich mir absolut bewusst und dafür bin ich auch sehr dankbar.
Was das Reisen angeht, war ich Corona auch nicht soo böse. Ich persönlich habe mich sicherer gefühlt, wenn wir Zuhause waren, im vertrauten Umfeld, mit den vertrauten Ärzten in Bereitschaft. Mich hat jede Urlaubsplanung in der Situation schon gestresst und es gab auf den Reisen so einige Situationen, wo ich einfach nur Angst hatte. Doch ich hätte es auch nicht übers Herz gebracht, ihm diese letzten Urlaube zu verwehren.
Allerdings hätte mir der Mut gefehlt mit Klaus noch eine Luxuskreuzfahrt mit Fluganreise zu buchen, von der er geträumt und die er sooo gerne noch gemacht hätte. Da war ich dann Corona wirklich dankbar, dass das gerade nicht möglich war und Corona mir das „nein“ damit abgenommen hat.
Um die gebuchte Hurtigrutenreise auf einem Expeditionsschiff tut es mir allerdings schon sehr leid. Gerade kann ich mir auch nicht vorstellen, diese irgendwann für uns nachzuholen – auch wenn das ganz sicher im Sinne von Klaus wäre.
Beerdigung unter Coronabedingungen
Auch eine ganz besondere Situation und Herausforderung. Im Mausoleum in Bonn waren nur zwölf Personen (und das war schon ein Mißverständnis, eigentlich nur acht) erlaubt. Puuh.
Ursprünglich hatte ich eine Messe in Holten mit dem üblichen anschließenden Kaffeetrinken für alle geplant. Ich fand es aber sehr schwierig abzuschätzen, wer kommen würde und wie viele dann tatsächlich noch beim Kaffee dabei wären. Überhaupt hat mich der Gedanke an den Kaffee und diese vielen Menschen irgendwie überfordert. Auf der anderen Seite hätte ich es aber auch schön gefunden von vielen Anteilnahme zu spüren und viele tröstende Umarmungen erhalten zu können. Wobei die Umarmungen durch Corana ja eh so gut wie weg gefallen wären.
Die Situation war nun so: Beerdigungskaffee gar nicht erlaubt, die Messe wäre nur mit viel Abstand ohne Kontakt und ohne Musik (passender Weise war gerade die Orgel kaputt) möglich gewesen. Das fand ich einfach nur trostlos und so habe ich mich dann schweren Herzens dagegen entschieden, aber es hat einige doch getroffen, sich so nicht von Klaus verabschieden zu können.
Die eigentliche Bestattung sollte dann eh im kleineren Kreis in Bonn statt finden.
Bei den nun nur zwölf erlaubten Personen war es dann leider auch innerhalb der engeren Familie noch notwendig zu sagen: „Sorry, du kannst leider nicht dabei sein.“
Zu der Beerdigung wird es noch einen eigenen Beitrag geben, aber ich darf schonmal verraten, dass ich hier Corana fast dankbar bin, denn in diesem kleinen intimen Kreis, war das schon etwas Besonderes und ja, ich kann sagen, es war in aller Traurigkeit sehr schön.
Trauer in Zeiten von Corona
Auch hier gibt es für mich eine Mischung aus schlimm und gut. Ja, zunächst empfand ich diese zusätzliche Herausforderung sehr sehr schlimm. Natürlich war dadurch noch mehr Einsamkeit und weniger Unterstützung. Wegen Corona gab es keine Umarmungen, keine tröstenden Trauergruppen, Seminare und und und.
Aber ich versuche Situationen, die ich nicht ändern kann auch etwas Positives abzugewinnen. So fand ich es positiv, dass dadurch mehr Ruhe und tatsächlich mehr Raum zum Trauern war.
Zu normalen Zeiten hätte ich mich sicher früh – wahrscheinlich zu früh – in Aktivitäten gestürzt, um der Einsamkeit zu entgehen. Das war nun nicht möglich. So konnte ich der Trauer zwar nicht entfliehen, aber irgendwo war das für mich auch gut so, hat mich das in meiner Trauerarbeit vielleicht schneller weiter gebracht.