wackeliges Kartenhaus

Trauer beeinflusst den Körper

Ganz gesund fühlt man sich ja selten während der Trauer. Wenn die Seele krank ist, hat das fast immer auch Auswirkungen auf den Körper. Man schläft schlecht, fühlt sich daher schlapp, müde und kraftlos. Viele klagen über Kopfschmerzen, bei mir waren es der Magen und Herzbeschwerden. Man fühlt sich wie in einem Teufelskreis und das verstärkt natürlich das Bedürfnis sich zu verkriechen. Es verstärkt vielleicht sogar das Bedürfnis, dem anderen nachzufolgen, ihm nachzusterben. Dem gegenüber steht auch der Hunger nach Leben, nach Freude nach Neubeginn.

Um so mehr kann man stolz auf sich sein, wenn man es trotzdem geschafft hat weiter zu leben, egal ob man sein altes Leben angepasst oder sich ein neues aufgebaut hat.

Kleiner Unfall

Monatelang hatte ich mich seit seinem Tod nicht wirklich gesund gefühlt, richtig krank war ich zum Glück nicht. Die Angst davor war aber groß, besonders natürlich vor Corona und der damit verbundenen Quarantäne. Doch habe ich diese Angst nicht mein Leben bestimmen lassen, sondern einen Kompromiss gefunden, wie ich trotz aller Vorsicht, Kontakte halten und leben konnte.

Dann kam mein kleiner Unfall, der Tag kurz vor meiner ersten Trauerreise als ich in der Wohnung die Treppe zum Abstellraum unterm Dach herunter gefallen bin. Ich höre und spüre noch den Moment als ich mit dem Kopf gegen die Türe knallte. Ich lag da und dachte nur, das war es jetzt, es ist überstanden.

Doch dann sortierte ich vorsichtig meine Knochen und ich habe unglaubliches Glück gehabt. Mein Kopf brummte, mir war schwindelig, aber ansonsten schien alles heil. Mein Verstand sagte mir, ich sollte zum Arzt, aber solange der Kopf noch dran ist, gehe ich auch eher nicht dahin. So bin ich erzogen.

Ich machte also einfach nur langsam und hoffte, es würde vorübergehen und zum Glück tat es das dann auch nach ein paar Tagen.

Doch die Angst steckte mir noch eine Weile in den Knochen. Was wenn ich bewusstlos geworden wäre? Kein Mensch hätte mich gefunden …

Ist es also auch in meinem Alter (61) schon sinnvoll täglich ein kurzes Lebenszeichen mit der Familie auszutauschen?

Augen OP während der Trauer

Schon lange wäre sie fällig gewesen, meine OP am Grauen Star. Doch während Klaus so krank war? Für mich undenkbar. Doch nun gab es keine Ausrede mehr. Der Termin musste gemacht werden. Zum Glück hat der Arzt auf Grund meines ebenfalls vorhandenen Grünen Stars empfohlen, dass ich eine Nacht in der Klinik bleiben solle. Direkt nach einer OP mit Vollnarkose alleine Zuhause, davor hätte ich Angst gehabt und so nahm ich das Angebot gerne an.

Aber auch so war es nicht einfach. Die Angst war groß. Wie würde ich zurecht kommen, wochenlang ohne Brille. Es war klar, dass die vorhandene nichts mehr taugen würde, die OP mir aber auch kein Sehen ohne bescheren würde.

Ich habe zur Sicherheit nicht nur für eine Nacht sondern für mehrere Tage Sachen eingepackt, falls doch etwas sein sollte. Da war ja jetzt keiner mehr, der mir schnell etwas hätte bringen können …

Jetzt war auch der Zeitpunkt, wo ich mit damit auseinander setzen musste, wer einen Schlüssel für meine Wohnung bekommen sollte. War ja schon lange überfällig. Den Schlüssel bekam eine Freundin in der Nachbarschaft. Um es ihr im Fall der Fälle leichter zu machen, habe ich Anziehsachen auf dem Bett gestapelt. Unterwäsche, Nachthemden, Socken, Handtücher. Das, was ich eventuell noch brauchen würde, falls Komplikationen auftreten sollten.

Aber es ging alles relativ gut. Eine Freundin hat mich beide Male (waren zwei Operationen im Abstand von 14 Tagen) abgeholt und in die Wohnung begleitet. Es war zwar alles ungewohnt und besonders draussen war ich beim Laufen zunächst unsicher, doch in der Wohnung kam ich ganz gut klar.

Allerdings war es Februar und was bei uns eigentlich nie vorkam, es hatte geschneit, war glatt und eigentlich hätte ich den Schnee vor unserem Haus räumen müssen. Zum Glück haben sich hier freiwillig meine Mieter gemeldet und das übernommen. Dankbar habe ich dieses Angebot angenommen.

Das Kartenhaus stürzt ein

Dann kommt die Nacht, als es mir so richtig richtig sch… geht. Eineinhalb Jahre nach seinem Tod. Hier in meinem neuen Leben.

Ich hatte mir meine Boosterimpfung geholt und die so gar nicht vertragen. Tagsüber ging es noch, aber als ich nachts im Bett lag, wurde es so richtig heftig. Fieber, Hitze, Schüttelfrost, heftige Gelenkschmerzen, Kopfschmerzen, Übelkeit und keiner da, der für mich gesorgt hat. Keiner da, um mir ein Wasser zu bringen, eine Decke, mich zu kühlen oder einfach nur bei mir zu sein, um mich zu trösten.

Und plötzlich war er da, der Moment, wo ich auf einmal den Duft von Klaus in der Nase hatte. Rückblickend denke ich, das mich das hätte trösten sollen, in der Sekunde fand ich das einfach nur gruselig, war da nur der Gedanke: jetzt ist es vorbei, Klaus kommt mich holen.

Kurz habe ich mich da hinein fallen lassen, mich da hinein gesehnt, aber dann bin ich aufgestanden und auf die Couch gegangen. Habe ich monatelang sooo gekämpft, um nun zu gehen? Es dauert eine Weile bis ich wieder zurück in mein Bett gehe und ich wandere nochmal von Wohn- und Schlafzimmer hin und her, da die Schmerzen mich nicht zur Ruhe kommen lassen.

Es geht mir noch ein paar Tage schlecht und tatsächlich mache ich mir in der Zeit auch Gedanken, was noch geregelt werden muss. Ja, ich habe den roten Ordner, trotzdem hätte ich meiner Tochter in dem Moment noch ein Chaos hinterlassen. Da muss noch eine Steuererklärung mit Mieteinnahmen zum Haus gemacht werden. Die Nebenkostenabrechnung ist auch noch nicht fertig. Die Übersicht der Konten zwar da, aber kompliziert …
In dem Moment ging es mir aber zu schlecht um daran noch etwas zu ändern.

Am ersten Tag, an dem es mir wieder besser geht, fühle ich mich wie neu geboren. Das tut sooo gut. Leider hältt das nur genau einen Tag. Noch liegt das Kartenhaus am Boden und will neu aufgebaut werden.

Am Montag die Woche darauf schaffe ich es dann aber zum Line Dance, das baut mich etwas auf. Die Woche wird halbwegs gut. Das erste Stockwerk steht wieder, aber noch ziemlich wackelig.

Hilfe anbieten und annehmen

Wie kann man nun einem Trauernden helfen, der jetzt auch noch krank wird? Sicher ganz schwierig, aber ich denke, es ist trotzdem wichtig, Angebote zu machen. Das tut dem Anderen auch dann gut, wenn er diese ablehnt. Vor allem muss man auszuhalten können, dass der andere vielleicht ungewohnt wehleidig wirkt.

Ich habe mich früher nie so in eine Krankheit hinein gesteigert, mich nie so bemitleidenswert gefühlt. Ohne die Trauer wären die Beschwerden wahrscheinlich auch gar nicht so extrem gewesen.

Ja, es ist schwierig, irgendwie wollte ich niemanden sehen, aber irgendwo wäre es doch schön gewesen, wenn jemand mich umsorgt hätte. Doch dafür ging es mir dann auch irgendwie wieder nicht schlecht genug und doch irgendwie auch zu schlecht. Ich bin dann schon eher der Typ, mich da alleine wieder rauszukämpfen. Das Angebot der Hilfe von meiner Familie war da.

Es braucht Zeit

Im Nachhinein ärgert es mich maßlos so schwach gewesen zu sein, mich so in die Situation hinein gesteigert zu haben. Aber ich will hier offen und ehrlich sein, nur so macht diese Blogreihe für mich Sinn, nur so könnt ihr da vielleicht etwas für euch von mir mitnehmen. Daher fand ich es trotzdem wichtig, euch auch an dieser Situation teilhaben zu lassen. Ja, es ist menschlich und verdammt ja, Trauer braucht Zeit, man ist auch im zweiten Trauerjahr nicht sicher vor der nächsten intensiven Welle.