Oliver Twist ~ Charles Dickens
Oliver Twist ~ Charles Dickens

Bei der Geburt stirbt seine Mutter und so beginnt Olivers Leben in Armut und Abhängigkeit. Er bekommt einen Namen nach dem alphabetischen Schema des Gemeindedieners. Er erhält das Nötigste um zu überleben, aber keine Liebe.

Die Erwachsenen sehen in ihm nur Schlechtes, verdrehen seine Aussagen und Taten gegen ihn. Der Höhepunkt dieses Dramas lässt ihn als große Bedrohung für seinen Arbeitgeber dastehen und Oliver gen London fliehen. Auch dort gerät er in keine fürsorgliche Gesellschaft …

52 Kapitel – 2 Teile

Gekauft hatte ich mir damals beide Teile, irgendwann auf einem Büchertisch mit reduzierten Exemplaren … Für die Klassiker-Challenge dachte ich, es würde reichen den ersten zu lesen! Von wegen, denn der erste Teil endet an einem spannenden Wendepunkt und ich musste dringend wissen, wie es weiter ging, also habe ich den zweiten Teil direkt hinterher gelesen.

Charles Dickens hat die Geschichten von Oliver Twist ursprünglich als Fortsetzungsroman geschrieben, was zu seiner Zeit wohl eine übliche Veröffentlichungsform für Romane war, wie der Bayrische Rundfunk schreibt:

Er wurde berühmt und schrieb weiter seine Fortsetzungsgeschichten für Zeitungen – die gängige Veröffentlichungspraxis für Romane damals.

Quelle: Bayrischer Rundfunk

Einflussfaktoren auf den Lebensweg

Wie werden Menschen zu Verbrechern und was schützt sie davor, keine zu werden, auch wenn die Umstände wie bei Oliver echt beschissen sind?

Charles Dickens hat eine wirklich fesselnde Geschichte geschrieben, die auf zwei Ebenen unheimlich spannend ist:

Wie geht es für Oliver weiter und wer ist er wirklich? Es gibt verschiedene geheimnisvolle Andeutungen auf seine Herkunft …

Die andere Ebene ist die Gesellschaftliche. Auch wenn sich die Zeiten gewandelt haben, ist die Kernfrage, wie jemand zum Verbrecher wird, noch immer sehr aktuell. Ebenso die Frage, wie jemand, der unter ähnlichen Umständen aufwächst, zu keinem wird.

Charles Dickens Figuren

Die Figuren von Charles Dickens sind ganz klar in die Guten und die Bösen einsortiert. Das sind verschiedene Figuren, die klar zur bösen Seite gehören, die Oliver schlecht behandeln und ihn auf die schiefe Bahn treiben oder ziehen wollen. Dann gibt es die Guten, die sich um ihn sorgen, ihm helfen und an das Gute in ihm glauben. Beim Lesen habe ich es als starken, aber auch interessanten Kontrast zur aktuellen Literatur empfunden.

Moderne Literatur steht für mich vor allem für den Standpunkt, dass niemand wirklich ausschließlich böse oder gut ist. Auch die Bösewichte haben Gefühle und positive Seiten. Ein krasses Beispiel hierfür ist Jack Harper, der Antagonist aus der McLain-Reihe von Jaden Quinn, der seinen eigenen Roman bekommen hat.

Andere Zeiten

Was zu Beginn des 19. Jahrhunderts üblich war, ist heutzutage befremdlich und das ist auch gut so.

Rassismus

Wenn jemand heute als „der Jude“ bezeichnet wird, hat das einen unangenehmen Beigeschmack, insbesondere da Fagin auch der Hehler ist. Dahinter steckt ein antiquiertes Bild über Juden, welches inzwischen hoffentlich weitesgehend überholt ist. Weitesgehend, aber leider noch nicht vollkommen.

Sollte man die Bezeichnung anpassen und rausnehmen? Diese Diskussion wurde ja bereits ausgiebig bei Pippi Langstrumpf und dem Begriff „Negerkönig“ geführt.

Ich finde es schwierig zu diesem Thema eindeutig Stellung zu beziehen, da ich mir nicht wirklich vorstellen kann, wie es sich anfühlt, solche Begrifflichkeiten zu lesen, wenn man zur gemeinten Gruppe gehört und mit diesen Begriffen vielleicht sogar persönliche negative Erfahrungen verbindet.

Ich finde den Diskurs wichtig, nämlich zu sehen, wie Menschen früher bezeichnet und behandelt wurden, um zu begreifen, warum es heute anders sein sollte und muss. Allerdings tragen weder Pippi Langstrumpf noch Oliver Twist direkt dazu bei, dass Lesenden klar wird, dass diese Begriffe unangebracht sind. Erst der Diskurs darüber, inklusive weitergehender Informationen, kann zu Verständnis führen. Also doch besser anpassen? Wie seht ihr das? Meine Bücher stammen übrigens aus der Auflage von 1999, eventuell steht es in neueren Ausgaben bereits anders.

Frauen

Ein weiterer Aspekt, der beim Lesen vieler Klassiker ab und an schwer fällt, ist die Rolle der Frauen. Hier möchte ich oft einfach widersprechen und freue mich dann, in der heutigen Zeit zu leben und als Frau freier zu sein.

Ein Beispiel ist dieser Dialog aus einem Streitgespräch zweier Eheleute:

„Das Recht des Mannes ist es, zu befehlen.“
„Und was, du Esel, ist das gute Recht der Frau?“ keifte Mr. Corneys Witwe. „Das Recht zu gehorchen, Weib.“

Oliver Twist, Zweiter Teil, Charles Dickens

Beide haben ein hohes Machtbedürfnis und der Streit geht für ihn nicht gut aus, sie weist ihn erfolgreich in die Schranken. Auch wenn ich beide nicht mag, freue ich mich über diese Wende, ohne häusliche Gewalt gegen Männer gut zu heißen. Wirklich niemand sollte Opfer häuslicher Gewalt werden!

An einer anderen Stelle geht es um ein anderes Paar. Er möchte ihr einen Antrag machen, sie gibt zu, interessiert zu sein, aber lehnt ab, da sie keine gute Herkunft vorweisen kann und seinem Ruf schaden würde … Herje, denke ich mir da, aber zur damaligen Zeit hat sie damit leider nicht unrecht. Furchtbar! Aber ist das heute wirklich vorbei? Wie viele Paare müssen sich heute noch für ihre Beziehung rechtfertigen, wegen Alter, Herkunft, Status eines der beiden?

Fazit

Ich habe Oliver Twist sehr gerne gelesen. Es war spannend.


Oliver Twist
Charles Dickens
Rotfuchs Verlag, 1999
ISBN Teil 1: 3-499-20737-0
ISBN Teil 2: 3-499-20738-9