Ein tolles Buch!
Dabei war es reiner Zufall, dass ich über dieses Buch gestolpert bin. Kleiner Komet hatte hier eine alphabetische Liste der Autoren angelegt über deren Werke wir bereits gebloggt haben. Mit einigen Anfangsbuchstaben gab es keine und so hab ich mal nach möglichen Autoren und Werken gesucht …. Und bei I wie Irving hat mich eben dieses Buch interessiert. Hinzu kam, dass es gleichzeitig ein Klassiker ist und somit einen der letzten Plätze in der Liste meiner Challenge bekommen hat. Aus einer Vielzahl von Büchern hatte sie das Werk dann als Geburtstagsgeschenk heraus gepickt und ich kann nur „Danke“ sagen. Ich bin begeistert.
Doch fangen wir vorne an.
Worum geht es in dem Buch?
„Gottes Werk und Teufels Beitrag“ wurde 1985 geschrieben (1999 verfilmt) und spielt in den 1930er bis 1950er Jahren. Das Hauptthema ist die Abtreibung und der damit verbundene Gewissenskonflikt. Nicht nur für die abtreibende Frau, sondern vor allem für den Arzt, hier Dr. Larch. Dr. Larch begleiten wir rückblickend durch sein Medizinstudium bis hin zum Tod. Die eigentliche Hauptperson ist aber Homer Wells, der seine Kindheit und Jugend im Waisenhaus von Saint Cloud’s, das von Dr. Larch geleitet wird, verbringt und dort erste medizinische Kenntnisse erwirbt. Als fast Erwachsener verlässt er für einige Jahre das Waisenhaus, um dann nach inneren Kämpfen doch dahin zurück zu kehren.
Ein wenig ausführlicher …
Wer nicht gerne zu viel im Voraus über ein Buch weiß, sollte den folgenden Abschnitt ignorieren und direkt zum Fazit springen.
Das Buch beginnt im Waisenhaus von Saint Cloud´s, dessen Entstehungsgeschichte wir auf den ersten Seiten des Waisenhauses erfahren. Wir lernen die Lebensgeschichte von Dr. Larch kennen, der zunächst absoluter Abtreibungsgegner ist und sich eigentlich nie vorstellen kann eine vorzunehmen. Er wird aber nachdenklich als eine schwangere Frau stirbt, weil er ihr die Hilfe verweigert hat und er geht in die Abtreibungsklinik um denen zu erklären wie man es richtig macht. Die Zustände sind aber so gruselig, dass er ein junges Mädchen dort raus holt, mitnimmt und an ihr seine erste Abtreibung durchführt. Die erste von vielen. Von nun an kann jede schwangere Frau, die nach Saint Cloud´s kommt entscheiden, ob sie ihr Baby zur Welt bringen und dort lassen will oder aber eine Abtreibung.
Homer Wells wird im Waisenhaus geboren und ist dort ein besonderer Fall. Er durchläuft mehrere Versuche an Pflegeeltern vermittelt zu werden, die jedoch alle scheitern. Schließlich bittet er selber darum, im Waisenhaus bleiben zu dürfen und macht sich dort nützlich. Er kennt aber zunächst nur „Gottes Werk“, die Frauen, die zur Geburt ins Haus kommen um dann ihr Baby dort zurückzulassen. Allerdings machen die Schwestern und Dr. Larch sich Sorgen was passieren würde, wenn er die Sache mit den Abtreibungen mitbekommt.
Doch würde er das kapieren? fragten sich die Schwestern und Dr. Larch. Homer hatte gesehen, wie die Mütter kamen und gingen und ihre Babys zurückließen, aber wie lange noch, bis er anfing, Köpfe zu zählen – und erkannte, daß da mehr Mütter kamen und gingen, als Babys zurückgelassen wurden? Wie lange noch, bis ihm auffiel, daß nicht alle Mütter, die nach St. Colud´s kamen, sichtbar schwanger waren – und manche von ihnen nicht einmal über Nacht blieben? Sollten sie es ihm sagen? fragten sich die Schwestern und Dr. Larch. … „Wie, wenn er in einen Abfalleimer schaut, Wilbur?“ fragte Schwester Edna Dr. Larch. „Wenn er alt genug ist, um hinzuschauen, ist er alt genug, um zu lernen“, erwiderte Dr. Larch. (Seite 103)
Und so entdeckt Homer es mit 13 Jahren selber, als er auf dem Rückweg vom Verbrennungsofen über einen Embryo am Boden stolpert, der ihm zuvor aus dem Eimer gefallen war. Er denkt zunächst, es wäre aus einem Nest gefallen, wäre von einem Tier. Er betrachtet den Embryo genau und bringt ihn dann zu Dr. Larch mit der Frage „Was ist das?“
„Gottes Werk“, sagte Wilbur Larch, dieser Heilige von St. Cloud´s, denn eben hatte er erkannt, daß auch dies die Arbeit Gottes war: Homer Wells zu unterweisen, ihm alles zu sagen, dafür zu sorgen, daß er Richtig von Falsch zu unterscheiden lernte. Es war eine Menge Arbeit, die Arbeit des Herrn, aber wenn man vermessen genug war, sie auf sich zu nehmen, dann mußte man sie gründlich tun.“ (Seite 105)
Geprägt durch den Anblick des Embryos (bei dem Wimpern und Finger schon zu erkennen sind) fällt Homer für sich die Entscheidung zwar weiterhin bei Geburten zu helfen, aber seine Mithilfe bei Abtreibungen zu vermeiden.
Wenige Jahre später – er ist noch keine 20 – rettet er einer Frau das Leben, als er sein erstes Baby zur Welt bringt, da die Frau zu sterben droht und Dr. Wilbur abwesend ist. Dr. Wilbur ist sehr stolz auf ihn. Er geht zu ihm und während er meint, dass dieser schlafe, drückt er ihm einen leichten Kuss auf die Lippen. Nach einem „Gute Arbeit, mein Junge“, verlässt er ihn.
Homer Wells fühlte stumme Tränen in sich aufsteigen, viel mehr Tränen, als er sich erinnerte, beim letzten Mal geweint zu haben. … Er weinte und weinte, aber er gab keinen Laut von sich, am nächsten Morgen würde er Dr. Larchs Kopfkissenbezug wechseln müssen, so sehr weinte er. Er weinte, weil er seine ersten Vaterküsse empfangen hatte. (Seite 196)
Aber auch Dr. Larch ist durcheinander, weil er die ersten Vaterküsse gegeben hat.
Doch es geht nicht nur um Homer Wells und Dr. Wilbur. Da gibt es noch das Waisenkind Melony, das Mädchen mit dem Homer seine ersten sexuellen Erfahrungen sammelt und dem er verspricht immer bei ihr zu bleiben …
Und da gibt es Wally Worthington und seine Verlobte Candy Kendall, die das Leben von Homer Wells verändern, die für eine Abtreibung nach Saint Cloud´s kommen und Homer anschließend mit auf die Apfelplantage der Familie Worthington nehmen, wo er ein anderes Leben kennen lernt.
Der Kreis schließt sich als Homer dann doch in einer ganz besonderen Situation seine erste Abtreibung vornimmt und dann nach St. Clouds zurück kehrt.
Fazit
Es ist ein Buch, das zum Nachdenken anregt, das einen mitnimmt und eine Stellungnahme verlangt.
Ich persönlich bin ein Gegner der Abtreibung und nachdem ich in jungen Jahren sehr unter meinen Fehlgeburten gelitten habe, tat ich mich erst schon ein wenig schwer mit dem Thema. Und ja, auch nach Lesen des Buches bin ich noch ein Gegner, aber ein verständnisvollerer …
Ja, es gibt vielleicht einige Situationen wo eine Abtreibung der bessere Weg ist und ja, ich stehe an Dr. Larchs Seite, der eigentlich auch ein Gegner ist, aber es dann doch tut, um die Frauen, die ansonsten eine sehr riskante illegale und unfachgemäße Abtreibung erdulden müssten zu retten.
Neben den beiden Hauptpersonen begegnen uns aber noch einige andere wichtige Persönlichkeiten und alle sind so mit Leben gefüllt, so gut geschildert, dass man sie vor sich sieht und ihren Gedankengängen folgen kann.
Ein Buch fesselnd von der ersten bis zur letzten Seite. Ein Buch, das ich ganz sicher noch ein zweites Mal lesen werde.
Gottes Werk und Teufels Beitrag
John Irving
Diogenes Verlag, 1990
ISBN: 978-3257218374