Der Bücherschrank
Das erste Buch im neuen Jahr war eine unglaubliche Überraschung. Ich habe es gerade erst beendet und stehe noch voll und ganz unter den unglaublichen Eindrücken der Geschichte.
Diesmal habe ich mir die Mühe gemacht einen Schrank aufzusuchen, zu dem mein Weg mich weniger zufällig führen würde: Den Bücherschrank in Bonn – Röttgen.
Das neue Jahr hatte gerade begonnen, also hoffte ich es würde mir Glück bringen. Ich zählte bis 20, dann bis 17. Unsicher nahm ich das leichte Buch in die Hand. Der Titel stand lediglich auf dem Buchrücken, es gab keinen Klappentext. Es war bereits dunkel und ich ahnte nicht, was ich mit nach Hause nahm …
Doch das neue Jahr brachte mir tatsächlich Glück.
Kleines Hindernis
Was die Kälte mich nicht hatte merken lassen, erkannte ich am nächsten Tag zu Hause, als ich mir das Buch näher anschauen wollte: Es stank.
Zum Glück fand ich auf Twitter schnell Hilfe: Herzlichen Dank!
#Hilfe, mein Januarbuch stinkt ganz furchtbar (nicht schimmelig). Hat jemand Tipps dagegen? #ProjektBücherschrank
— Stephanie Braun (@StephKatBr) 4. Januar 2017
Zur Sicherheit blieb das Buch ein wenig länger im Tiefkühler. Ich taute es erst am 22. Januar auf.
Es stank nicht mehr und es zeigte sich, dass das 1961 erschienene Buch in einem erstaunlich guten Zustand war.
Ein fester stabiler Einband, mit Lesebändchen und 206 eng bedruckten Seiten, liegt das relativ kleine Buch gut in der Hand.
Ein Vergleich des Schriftbildes habe ich auf Instagram gepostet:
Das Buch
„Gelber Mond über der Steppe“ von Hildegard Plevier spielt in der Wolgadeutschen Republik. Es ist eine Liebesgeschichte.
Ein junges Pärchen, noch gar nicht lange verheiratet lebt eine kurze glückliche Zeit nahe der Wolga. Doch dann droht Anatol die Verhaftung. Warum weiß niemand und vor allem für seine Frau Lisa ist es völlig unverständlich. Es gelingt ihr ihn zu warnen und er flieht nach Moskau in der Hoffnung dort Hilfe zu finden. Doch er kommt zu spät, die Person auf die er seine Hoffnungen gesetzt hat, ist bereits selbst in Ungnade gefallen.
Die Geschichte bleibt bei Lisa, bei ihren Hoffnungen und Ängsten. Sie hat großes Glück einen einflussreichen Onkel zu haben, der es vermag ihr Leben zu erleichtern. Lisa selbst ist eine gebildete Frau, die als Lehrerin tätig ist. Die Autorin Hildegard Plevier (*8.Februar 1900) hätte auch Lehrerin werden sollen, wenn es nach ihren Eltern gegangen wäre. Doch, so steht es hinten im Buch, nahm die junge Dame stattdessen heimlich Schauspielunterricht.
In dieser unglaublichen Liebesgeschichte steckt so viel Geschichte der Sowjetunion der 30er Jahre bis zum Kriegsende. Dabei ist er auch sehr gut geschrieben, gefühlvoll, anschaulich und leicht zu lesen.
Es ist kein historischer Roman, es ist ein Roman aus der Zeit selbst. Geschrieben von einer deutschen Autorin, die 1933 mit ihrem Mann wegen drohender Verhaftung vor den Nazis fliehen musste. Ihr Weg führt das Paar nach Russland, so steht es hinten im Buch. Einen spannenden Artikel, der noch deutlicher macht, wie nah der Roman einem Zeitzeugenbericht ist habe ich auf einer Seite für Frauen-Biografieforschung gefunden.
Zwei Zitate aus der zweiten Hälfte des Buches:
Dumpf ahnte Lisa, was sich hier abgespielt hatte. Ende der zwanziger Jahre war diese Gegend, jenseits des Polarkreiseses noch unbewohntes, wildes Gebiet gewesen. Dann begann man Strafgefangene hierher zu transportieren, sogenannte Kulaken oder freie Bauern, die im Zuge der Kollektivierung der Landwirtschaft enteignet worden waren. Auch in Lisas Dorf an der Wolga mußten einige ihre Höfe verlassen, nicht lange, nachdem man ihren Vater abgeholt hatte. Waren sie auch an den Jenissel verschickt worden? Sie wusste keine Antwort darauf; nie wieder hörte man etwas von ihnen, wie auch niemals eine Nachricht von ihrem Vater bekommen hatte oder von Anatol!
Ein NKWD-Offizier gibt Lisa gegenüber zu:
Wir brauchen Arbeitskräfte hier oben in diesen Gebieten, denn die Sowjetmacht braucht Gold, braucht Holz, Mangan und Kupfer. Wenn wir das nur in Gegenden finden, in die kein Arbeiter freiwillig geht, müssen wir eben Sträflinge dorthin schicken. Die freien Arbeiter, die nach ihnen kommen, werden es dann leichter haben.
Fazit
Wenn dir das Buch irgendwo begegnet: Lies es! Es wird dich beeindrucken.
Gelber Mond über der Steppe
Hildegard Plievier
Bertelsmann Lesering, 1961
Guten Abend.
„Es wird dich beeindrucken“ = NEIN – im Gegenteil, es hat mich angeödet! Es ist eine ziemlich gedrechselte Liebesschnulze: Inhaltlich langatmig, stilistisch schlicht… Da wird sich Theodor im Grabe umdrehen! Sein „Stalingrad“, „Moskau“, „Berlin“ haben ein ganz anderes Format; stilistisch zT etwas ungehobelt, aber sehr „beeindruckend“ – realistisch.
MfG, MB/Berlin
14.8.20