Das Haus in der Spielstraße

Das Haus in der Spielstraße

Es war einmal ein kleines Mädchen. Sie wuchs in einer Reihenhaussiedlung mit Spielstraße auf. Ihre Familie gehörte zur ersten Generation, die in diese Straße zog. So ergab es sich, dass viele Kinder in einem ähnlichen Alter auf derselben Straße wohnten. Die Kinder waren sehr verschiedenen, aber das stört kleine Kinder nicht. Sie spielen trotzdem zusammen.

Es wurde viel Zeit draußen verbracht. Man fuhr Rollschuh, spielte mit dem Ball, sprang Springseil, malte mit Kreide oder spielte fangen und verstecken. Es gab ein klar definiertes Gebiet in dem man sich aufhalten durfte, in Rufweite bleiben hieß das. Man wohnte eng beieinander und so galten dieselben Regeln für alle, zumindest fast. Der Kaugummiautomat befand sich hinter der Grenze, aber nicht für alle …

So vergingen die Tage, Woche, Monate, Jahre. Die Kinder wurden älter und änderten sich. Interessen änderten sich und Freundschaften außerhalb der Straße wurden geschlossen.

Das kleine Mädchen entdeckte etwas neues für sich: die Welt der Bücher. Es wurden schnell sehr viele Bücher, denn die alten Bücher von Mama und Papa wurden hervorgeholt und ins Regal gestellt. Sie verbrachte immer mehr Zeit drinnen, wurde zum Stubenhocker und war zufrieden damit. Irgendwann merkte sie, dass der Winter vorbei und während es draußen wieder schön war, die anderen weiterhin draußen spielten. Sollte sie raus gehen?

Ab und zu, aber immer seltener, das war nicht mehr ihre Welt. Natürlich gab es immer mal Streit zwischen den Kindern der Spielstraße, aber es gab keinen finalen bösen Streit, der ihre Freundschaft beendet hätte, es endete einfach.

Noch lange spielte eine kleine Gruppe draußen am Ende der Spielstraße. Es kamen andere Kinder dazu. Sie hatten Spaß beim Rollerhockey. Das Mädchen wäre gerne mal wieder mit nach draußen gegangen, hatte aber keine Rollerblades und den Anschluss verloren. Jahre später erfuhr sie, dass ein Mädchen von der Straße nicht nur Rollerhockey gespielt hat. Irgendwann muss sie mit Eishockey angefangen haben, denn sie hatte es in den Nationalkader für Olympia geschafft. Sie schaute das Spiel im Fernsehen, verstand nichts und starrte nur auf die Rückennummern, um einen Blick auf die Freundin aus Kindheitstagen zu erhaschen.

Als das Mädchen Anfang 20 war, traf sie einen der Freunde wieder. Sie erkannte ihn im ersten Moment nicht, es war viel Zeit vergangen und der Anlass ein trauriger. Es war die Beerdigung einer gemeinsamen Freundin, viel zu früh verstorben.

Inzwischen wohnen auch die Eltern der Kinder alle nicht mehr auf der Spielstraße. Die Häuser sind verkauft, andere Kinder spielen dort. Vielleicht spielen sie dieselben Spiele wie in den 80ern, fahren Inliner, satt Rollschuhe.

Die Kinder von damals kannten keine Smartphones. Sie kannten aber Fernseher und eines der Kinder hatte sogar ein Premiere-Abo (Vorgänger von Sky und das Netflix der 80er). Denn auch auf der Spielstraße schien nicht immer die Sonne, man verbrachte auch Zeit drinnen und dort spielte man nicht immer kreativ mit pädagogisch wertvollem Spielzeug.

Auch draußen wurde sich nicht immer sportlich betätigt, manchmal hockte man auch einfach nur beisammen, quatschte oder spielte Spiele, bei denen man sich nicht bewegen musste. Und gar nicht so selten langweilte man sich gemeinsam. regelmäßig kam das Mädchen von gegenüber klingeln, dann war man schon mal zu zweit. Und dann? Dann war da die Frage, was machen wir jetzt. Auf diese Frage gab es nicht immer eine Antwort, aber eine klare Regel, wer zuerst gefragt hat, muss nicht antworten.

Aus dem Mädchen von damals, dem Stubenhocker und Bücherwurm ist ein kleiner Komet geworden. Auch heute triffst du sie eher selten beim Sport oder in der Disko an. Draußen unterwegs hat sie immer ein Buch dabei.

Inzwischen ist ihre Welt viel größer geworden als die kleine Spielstraße von damals mit dem Kaugummiautomaten hinter der Grenze. Die Welt ist grenzenlos und die Menschen um sie herum so vielfältig. Was wäre gewesen, wenn das kleine Mädchen von damals schon früher Zugang zum Internet gehabt hätte, Kontakt zu anderen Bücherwürmern?

Heute gibt es diese Möglichkeiten und Eltern sehnen sich zurück nach der behüteten Spielstraße. Vielleicht müssen Eltern etwas ähnliches machen, wie die Eltern damals, als die Kinder in Rufweite spielten. So könnten sie ihre Kinder „in Rufweite“ durch das Netz begleiten und die Grenzen nach und nach erweitern. Zunächst gemeinsam, dann im Beisein. Nach und nach alleine mit klaren Regeln, welche Apps genutzt und welche Seiten besucht werden dürfen.

Was ist mit ausreichend Bewegung? Das Mädchen von der Spielstraße hatte kein Smartphone, nur Bücher, die sie von der Bewegung abhielten. Das andere Mädchen, das es zu Olympia geschafft hat, hätte ihren Weg zum Sport auch in der heutigen Zeit gefunden. Lange stillsitzen war nicht ihr Ding und sie hatte viel Spaß an Bewegung.

Heute ist alles gar nicht so anders, es gibt mehr Möglichkeiten!

Das Mädchen und ihre Bücher (leider schlechte Qualität, da von einem Papierbild abfotografiert)


Diese Erinnerungen beruhen auf wahren Erlebnissen, sind etwas überspitzt dargestellt und die Erinnerungen eventuell etwas verzerrt.

Sollte einer der Freunde von der Spielstraße dies lesen, seid herzlich gegrüßt, ich habe euch alle noch in guter Erinnerung!!!