Heute ist Freitag und früher war der Freitag unser Tag.
Freitags nach der Schule habt ihr mich abgeholt. Dafür seid ihr 100 km gefahren. Gemeinsam sind wir weitere knapp 50 km bis nach Bad Neuenahr ins Schwimmbad gefahren. Jede Woche, wenn nichts dazwischenkam. Ich durfte eine Freundin mitbringen. Abends habt ihr uns wieder nach Hause gebracht. Anschließend seid ihr selbst wieder die 100 km nach Hause gefahren.
Viele haben euch dafür für verrückt gehalten. Das war mir egal. Wir hatten viel Spaß an unseren Freitagen. Irgendwann hat es aufgehört. Das lag wahrscheinlich an mir … Pubertät und so …
Heute ist Freitag. Heute fahre ich die Strecke.
Gemeinsam mit meinem Mann und unseren zwei Töchtern, euren Ur-Enkelinnen fahre ich diese 100 km. Wir fahren nicht zu euch nach Hause, wie ich es früher so oft getan habe. Nicht dorthin, wo ich meine Ferien verbrachte. In die Wohnung mit dem Wintergarten und dem kleinen Fernseher auf dem ich so viele Filme und Serien gesehen habe, während Manfred mir so viele Stuten mit Nutella geschmiert hatte. Zuhause durfte ich abends keine Nutellabrote essen, aber bei euch war das etwas vollkommen anderes. Bei Großeltern gelten eben andere Regeln.
Ihr wart nie Oma und Opa, ihr wart Lore und Manfred. Später einfach nur MuH, wie ihr selbst Karten und Geschenke unterschrieben habt. Manfred und Hannelore. Für Oma und Opa wart ihr zu jung, habt ihr gesagt. Ja, ihr wart immer meine jungen Großeltern, doch irgendwann seit auch ihr älter geworden. Doch irgendwie habe ich euch nie als „alt“ gesehen, schließlich wart ihr irgendwann, die jungen Ur-Großeltern.
Wie haben aber nicht nur fern gesehen und Brote gegessen. Wir sind oft an den See gefahren, spazieren gegangen und Manfred hat mir ausmalen beigebracht. Es ging nicht nur darum, die Linien nicht zu übermalen, er zeigte mir, wie ich den Stift halten musste, damit gleichmäßige Flächen entstehen. Später wurden Manfred und ich zu Architekten. Lore schüttelte regelmäßig den Kopf über uns, aber wir waren ein gutes Team. Wir planten ein Nurdachhaus. Alles sollte in einen Raum, keine Wände, alles offen, nur die Toilette etwas diskreter. Endlose Diskussionen, zahlreiche Zeichnungen. Zur Umsetzung kam es nie, aber das hat uns nicht gestört.
Es ist Freitag und es wird Zeit Abschied zu nehmen.
Bereits Anfang des Jahres ging Lore von uns und bezog ihr neues Zuhause im Kolumbarium, eine alte entweihte Kirche mit offenem Dach, beinahe ein Nurdachhaus mit zahlreichen Nischen. Heute wird auch Manfred in seiner Urne seinen Platz in der Nische am Fenster bekommen. Dann seid ihr zwei wieder vereint, an dem Ort, an dem Manfred damals in den Kindergarten ging und eine Menge Blödsinn angestellt hat.
Heute ist Freitag. Das ist unser Tag und ich erinnere mich gerne zurück an viele glückliche Freitage und eine Menge Blödsinn.