„Und wir fahren dann alle zusammen mal ein Wochenende weg“, war eine Idee, als wir die Intervisionsgruppen im Rahmen der Ausbildung Systemische Therapie bildeten.

Wegfahren mit anderen?

Ohje! Muss das sein? Das ist absolut nicht mein Ding, dachte ich.

Die Ausbildung zur Systemischen Beraterin war bereits sehr intensiv gewesen. Es ging nicht nur um die Entwicklung der eigenen Professionalität, sondern auch um ganz viel persönliche Entwicklung. In diesem Sinne ließ ich mich auf das Abenteuer Wochenende ein.

Der Plan

Ein Wochenende zu viert in einem Häuschen im Wald, irgendwo im Nirgendwo, war der Plan. So etwas habe ich noch nie gemacht und war vorher sehr nervös.

Bereits in der Planungsphase nutzte ich für mich eine Strategie, die ich beim IF Weinheim gelernt habe: Sorge gut für dich. Das bedeutet unter anderem die eigenen Bedürfnisse und Sorgen auszusprechen.

Reisen planen ist nicht meine Stärke, das überfordert mich. Das war kein Problem, jemand kümmerte sich gerne darum, suchte eine Location heraus und ich brauchte dem nur dankbar zustimmen. Mein Wunsch, ein Zimmer für mich zu haben, wurde berücksichtigt, alles wunderbar.

Auch bei der Detailplanung, wer bringt was mit, konnte ich mich auf die Erfahrungen meiner Gruppe verlassen, die bereits in verschiedenen Konstellationen mit anderen weggefahren sind. Das habe ich als sehr entlastend empfunden.

Die letzten Tage vor der Abreise war ich trotzdem sehr nervös. An was muss ich denken? Wie wird es werden? Wie geht so etwas?

Ich schrieb einfach in den Gruppenchat, dass ich nervös sei und bekam liebe Antworten. Allein, dass die anderen wussten, wie es mir geht, hat mich besser fühlen lassen.

Irgendwo im Nirgendwo

Das Nirgendwo befand sich im Westerwald an einem Ort, der mit öffentlichen Verkehrsmitteln nicht zu erreichen war.

Bisher war ich davon überzeugt gewesen, ich käme überall mit Zügen und Bussen hin, wenn ich nur bereit dazu wäre, Zeit und Umsteigen in Kauf zu nehmen. Dies war hier nicht möglich. Das Häusschen liegt im Wald. Im zugehörigen Ort gibt es keine Bushaltestelle. Der nächstgelgene Bahnhof scheint nicht mehr aktiv …

Es fand sich eine Lösung, dass ich ab einem für mich gut erreichbaren Treffpunkt mitgenommen wurde. Wunderbar. So kam ich gut an.

Wahre Gruselgeschichten

Bei einem Spaziergang entdeckten wir die Umgebung. Das war spannend, denn am Vortag waren wir im Dunklen und dichten Nebel angekommen.

Während wir irgendwo durch das Nirgendwo spazierten, erfuhr ich, was sich vor vielen Jahren an diesem Ort ereignete.

Wir befanden uns an einem Ort, an dem sich 1995 ein unfassbares Unglück ereignete. Ein Weltrekordversuch im Tauziehen endete für zwei Kinder tödlich und mit vielen Verletzten.

Diese Geschichte ging mir sehr nahe. Es macht für mich einen Unterschied solche Geschichten in den Medien zu lesen, oder an dem Ort zu hören, wo sie sich ereigneten.

Am nächsten Tag kamen wir am Gedenkstein vorbei und es war spürbar, dass diese Geschichte uns alle beschäftigte.

Abenteuer liegen abseits der Wege

Ein Häuschen im Wald zu haben ermöglicht wundervolle Spaziergänge. Allein der Baum, der direkt vor unserem Küchenfenster stand, faszinierte mich. Das Moos an dessen Stamm war so dicht und hoch gewachsen. Herrlich!

Auf unserem ersten Spaziergang drehten wir eine Runde und ich fragte, ob wir in diese Richtung weiter gehen und zu unserem Häuschen zurück kämen. „Klar, machen wir“, kam die Antwort.

Der Weg führte durch den Wald und ich vertraute auf die Erfahrung in der Gruppe und auf meinen Orientierungssinn, dass wir in die richtige Richtung gingen. Im Zweifel würden wir eben wieder zurück gehen.

Es ging auf feuchtem Waldboden eine Anhöhe hinauf. Keine besondere Herausforderung für die meisten Menschen und doch war ich stolz, es geschafft zu haben. Abseits der Wege gehen, gehört für mich nicht zu alltäglichen Erfahrungen.

Es war herrlich und wir wurden mit einem schönen kleinen Ort belohnt. Eine Ansammlung von riesigen Steinen, die moosbewachsen waren. Hier schossen wir auch ein Erinnerungsfoto als Gruppe.

Geocaching als therapeutische Methode

Miteinander arbeiten und sich bewegen ließ sich wunderbar kombinieren. Walk and Talk habe ich bereits von vielen als Methode gehört. Mein Kollege  nutzt Geocaching in der Arbeit mit Jugendlichen. Eine geniale Idee!

Das haben wir miteinander ausprobiert. Wir sind auf die Jagd nach einem Versteck gegangen und haben uns unterwegs verschiedene systemische Fragen gestellt.

Dabei kamen wir zu sehr wertvollen persönlichen Erkenntnissen.

Braucht es immer ein Ziel?

Wie viel Navigation brauchen wir? Können wir nicht auch einfach mal einem Impuls folgen und da entlang gehen, wo es schön ist?

Wie viel Sicherheit braucht es?

Was macht es mit dir in der Natur zu sein?

Mir kam auch ein geschätztes systemisches Zitat in den Sinn:

Umwege erhöhen die Ortskenntnis

Verantwortung übernehmen und mich einfach frei fühlen

Und dann kam der Moment in dem ich die Verantwortung für den Weg übernehmen sollte. Ich lehnte zunächst ab, auf das Handy zu schauen, um mich zu orientieren. Wir standen an einer Wegkreuzung und für mich war klar, dass es mich landschaftlich nach links zog. Allerdings sagte mir meine Orientierung, es wäre besser nach rechts zu gehen, um das Ziel zu erreichen. Also bogen wir rechts ab, bis wir an einen Punkt kamen, der mich lockte, den Weg zu verlassen.

An dieser Stelle schaute ich auf die Geocaching-App: Tendenz geradeaus, eventuell ein klein wenig nach rechts. Es zog mich sehr aufs Feld und nachdem ich meine Gedanken zu der Entscheidung geäußert hatte, verließen wir den Waldweg.

Und das war eine gute Entscheidung. Ich benannte einen Verschlag auf der Wiese als Orientierungspunkt, an dem wir nochmal schauen würden. Bis dahin trug ich die Verantwortung für den Weg.

Mit jedem Schritt über das Feld fühlte ich mich freier. Mehrfach entkam mir ein fröhliches Lachen. Einfach so über die Wiese stapfen, die uneben und voller Köttel war, möglicherweise von Schafen, sagten die anderen.

Wir kamen an eine sumpfige Stelle, gingen zum Teil links und recht herum dran vorbei. Dann kamen wir wieder zusammen.

Zugleich die Verantwortung zu tragen und ganz viel los zu lassen, fühlte sich so unglaublich befreiend an.

Letztendlich führte die App uns wieder zurück auf den Weg. War es also ein Fehler vom Weg abzugehen?

Definitiv nicht! Es war eine Erfahrung, die ich nicht missen möchte. Dem Weg weiter zu folgen wäre langweilig gewesen und das Abenteuer liegt eben abseits der Wege. Darin waren wir uns einig.

Nach Hause kommen

Zwei Nächte haben wir gemeinsam im Häuschen im Wald verbracht. Intensive Tage, in denen vier sehr verschiedene Menschen als Gruppe gemeinsame Aktivitäten erfahren haben. Es war erstaunlich, wie gut wir aufeinander geachtet und die unterschiedlichen Bedürfnisse aufeinander abgestimmt haben.

Sonntag Nachmittag legte ich mich Zuhause aufs Sofa und genoss es mit mir allein zu sein. Irgendwann nickte ich dabei ein und ging sehr früh schlafen.

Es war eine tolle Erfahrung. Anstrengend und schön. Zum Schlafen hätte ich mir ein bequemeres Bett gewünscht, als ein Hauch von Matratze auf einem Gitter und doch ging auch das für zwei Nächte.

Ich bin stolz auf mich. Es ist mir gelungen zu sagen, was ich brauche und möchte. Wir sind sehr verschiedene und haben gemeinsam eine gute Zeit gehabt. Und ich bin den anderen dankbar, dass dies genau so möglich war.

Das könnte dich auch interessieren:

Kunst gegen Hass

Kunst gegen Hass

Es war einmal eine Hauptstadt am Rhein ... Dann wurde Berlin wieder Hauptstadt, die Ämter zogen ebenfalls nach und nach gen neue Hauptstadt. Das ein oder andere ist noch in der Bundesstadt Bonn geblieben. Doch das magischste aller Bundesämter ist und bleibt in unserem...