Auch bei uns ist es so weit, ein Abiball steht ins Haus. Auf dem Weg ein Kleid zu finden, hatte ich die passende Lektüre: „Abiball – Meine Familie am Rande der Reifeprüfung“ von Georg Koeniger. Der Beitrag erscheint auch nicht ohne Grund heute am 23.06.2018, denn heute vor 17 Jahren fand meine Abi-Abschlussfeier statt. Das Datum des Balls weiß ich tatsächlich nicht mehr.
Patchworkfamilie und Patchworkgeschichte
Nach der Lektüre des Klappentextes habe ich eine humorvolle Geschichte erwartet. Ein Vater klagt sein Leid, wie er den Abiball seines Sohnes erlebt. Diese humorvolle Geschichte ist auch enthalten, doch es ist komplizierter. Prolog und Epilog fassen die Geschichte ein. Diese spielen jeweils im Jahre 2016 und es geht zu einem Abiball. Es ist der Abiball des Stiefsohnes … Abi 2016.
Die Kapitel tragen Jahreszahlen als Überschrift und wir springen zeitlich hin und her zwischen dem Abi 2004, dem Abiball von Sohn Finn, und der Vergangenheit des Vaters. Sein Abitur machte der Kabarettist bereits 1976. Damals gab es keinen Ball, keine Abschlussfeier, die es eigentlich hätte geben sollen.
Ein Ball wäre bei uns auch nicht besonders spannend gewesen. Wir waren eine reine Jungenschule.
Er war selbst alles andere als ein braver Junge, eher ein Rebell, ein Junge seiner Zeit, einer Zeit vor meiner Geburt, daher spannend zu lesen. Wir springen nicht nur zurück zu seinem Schulabschluss, passend zu den Szenen auf dem Abiball kramt er Erinnerungen aus seinem Leben hervor. Dabei sind die Übergänge geschickt gewählt, wie perfekte Überblendungen im Film. Es passt einfach jedes Mal.
Die gesamte Familiengeschichte ist komplex, ich versuche mal einen Überblick
Georgs Vater ist in den Osten abgehauen. Dann wurde eine Mauer gebaut und er konnte nicht mehr zurück, wäre wahrscheinlich auch nicht gut gewesen, da er ja vor etwas davonlief … Jedenfalls stellte sich die Frage ob Frau und Kinder nachkommen, beinahe wäre es so gekommen, aber dann doch nicht. So wuchs Georg ohne Vater auf, mit den besten Vorsätzen, seinem eigenen Kind das niemals zuzumuten. Es kam zu einer späteren Vater-Sohn Begegnung in der DDR, interessant zu lesen. Als Kind hatte ich große Schwierigkeiten mir vorzustellen, dass Menschen hinter der Mauer leben, sich frei bewegen können, aber doch irgendwie eingesperrt sind. Noch komplizierter empfand ich, dass wir Familie in Westberlin hatten, ebenfalls umgeben von einer Mauer, aber frei.
Zurück zur Abiball-Familie: Georg wurde früh Vater, aber seine Ehe scheiterte. Seine Exfrau Ruth, Mutter von Finn, heiratete Ehemann Nummer 2, den Hubert. Dieser Hubert ist der Grund für die Trennung von Georg, entsprechend sind diese beiden Männer keine Freunde! Doch Hubert wird für Finn zu einem zweiten Vater, also muss auch Hubert mit zum Abiball, auch wenn inzwischen auch seine Ehe mit Ruth gescheitert ist und sie bereits in einer neuen Beziehung ist …
Tja, der Kreis schließt sich irgendwie, wenn Georg, Vater von Finn, im Jahre 2016 erneut zu einem Abiball geht. Diesmal mit seiner neuen Partnerin. Diesmal ist er der Patchworkanhängsel auf dem Ball, der „Neue“. Natürlich ist auch der leibliche Vater anwesend, in Begleitung einer neuen Frau.
Viel Stoff für eine Geschichte, inspiriert vom wahren Leben. Die Geschichte ist autobiografisch. Ob sich alle Katastrophen tatsächlich genau so ereignet haben oder doch künstlerische Freiheiten beinhalten. Ich weiß es nicht, aber es wirkt alles tatsächlich in aller Absurdität sehr realistisch.
Abiball 2004 versus 2001 versus 2018
Der Ball selbst steckt voller typischer Dramen, aber ich kann zum Glück sagen: So schlimm war es bei uns nicht! Wir hatten auch noch keine Agentur, die sich darum kümmerte. Es war ein wirklich schönes Fest. Ja, ich war im Ballkomitee und zuständig für die dramatische Raumsuche. Kilometer um Kilometer bin ich mit einer Freundin und der kleinen Abiturientin von 2018 gefahren. Wir haben Säle gesehen, unglaubliche Preise und uns letztendlich ganz klassisch (was uns damals nicht klar war) für die Stadthalle entschieden. Dann erfolgte die Übergabe an das Team für Deko und Programm. Es gab damals noch keine separate Abiballparty, wie sie seit einigen Jahren veranstaltet wird. Als ich das erste Mal in der Straßenbahn hörte, dass man nicht nur ein Abiballkleid, sondern zwei braucht, wollte ich es nicht glauben. Doch es ist Realität! Gingen bei uns die Eltern früher freiwillig, wurden sie bei Finn 2004 rausgeworfen, ist es inzwischen üblich den Ball zu beenden und sich für die After-Ball-Party umzuziehen …
Es ist ein Fest, an das ich persönlich kaum Erinnerungen habe, außer, dass es ein schöner Abend war. Ich erinnere mich, dass meine Eltern gingen und mir viel Spaß wünschten, erinnere mich ebenfalls, mich nicht betrunken zu haben, daran liegt es also nicht. Das große Fest, zum Abschluss eines Lebensabschnittes hatte dann doch nicht so eine große Bedeutung für mich. Dennoch sehe ich mit großer Aufregung dem Abiball 2018 entgegen, auch wenn ich diesen zeitig werden verlassen müssen … Cinderella durfte ja auch nur bis Mitternacht auf den Ball … Meinen Prinz habe ich schon dabei, denselben, wie 2001.
Fazit zum Buch
Es ist mehr als nur eine unterhaltsame Lektüre, die vor allem für Eltern lesenswert ist, aber auch für alle, die sich an ihren Abiball erinnern möchten. Ich selbst reiste mit Sohn Finn in die Vergangenheit, schließlich machte er nur drei Jahre nach mir sein Abitur. Reiste auch ein wenig in die Zukunft mit dem Vater, denn einen Abiball als Mutter habe ich noch nicht erlebt, steht mir aber bevor. Zum Glück muss ich nicht durch dieses Patchwork-Drama, sehr kompliziert. Wer hofft eine Lösung für Patchwork-Fragen in diesem Buch zu finden: vergiss es!
Aber der Humor, der kommt nicht zu kurz! Der Autor ist schließlich Kabarettist!
Das Buch wurde mit vom Piper-Verlag über NetGalley zur Verfügung gestellt.
Abiball – Meine Familie am Rande der Reifeprüfung
Georg Koeniger
Piper
ISBN 978-3-492-31272-1
Erscheinungsdatum 2.05.2018