Eigentlich schreibe ich hier bisher nur über Bücher, die ich im Rahmen meiner Klassiker-Challenge gelesen habe, aber dieses Buch hat mich so begeistert, dass ich es euch unbedingt vorstellen wollte.
Ein Thema, das von uns allen mehr oder weniger verdrängt wird ist das Sterben und doch können wir diesem Thema nicht entgehen. Wenn eines im Leben sicher ist, dann der Tod. Jeder kennt jemanden, der von einer ernsten Krankheit betroffen ist und ja, um uns herum wird gestorben. Manchmal kommt der Tod plötzlich und unerwartet, manchmal als Erlösung nach langem Kampf. Und immer ist für die meisten von uns schwierig sich dem Tod und Sterben, den Hinterbliebenen und/oder der eigenen Trauer zu stellen. Gut, wenn man sich schon vorher damit beschäftigt hat…
Und dafür ist dieses Buch aus meiner Sicht perfekt. Denn es ist unglaublich offen und ehrlich ohne pathetisch zu sein. Obwohl es um ein emotionales Thema geht doch irgendwie sehr sachlich geschrieben, aber nein, es ist bei weitem kein Sachbuch. Es liest sich leicht wie ein Roman, aber man hat immer im Hintergrund, hier wird etwas real Erlebtes wieder gegeben.
Der Inhalt beschreibt sich tatsächlich am einfachsten über den von der Autorin verfassten Klappentext:
Ich wollte wissen, warum für jene das Leben, das in den Augen anderer längst keinen Wert mehr zu haben scheint, weiterhin so kostbar ist. Worin liegt, wenn man stirbt, dieser Wert? Innerhalb von achtzehn Monaten sah ich meinen Vater an Altersschwäche und meine sechsundfünfzigjährige Schwägerin an Krebs sterben. Die Haltung beider und ihre Erfahrung mit dem Sterben gaben mir eine Antwort, die einerseits tröstlich, andererseits aber auch bestürzend war.
Und ja, das Buch erzählt ein wenig die Lebensgeschichte von Margaret Forster, aber nur insoweit wie es für das Verständnis wichtig ist. Der Titel ist „Dieses so kostbare Leben“, die Frage, die sich tatsächlich stellt, was macht das Leben kostbar? Und doch beschäftigt sich das Buch mit Tod und Sterben. In manchen Situationen findet man sich wieder, man macht sich automatisch seine eigenen Gedanken zu den Situationen und ich behaupte auch, man fühlt sich trotz des Themas hinterher besser. Es liest sich leicht und ich habe es in drei Tagen ausgelesen mit dem Fazit: Wow, ein Buch, dass wirklich jeder gelesen haben sollte.
Es beginnt schon im Prolog mit dem ersten Satz:
„Da unten liegt ein toter Hund“, sagte die Frau zu meinem Vater.
Sie rät ihm einen anderen Weg zu gehen, damit das sechsjährige Kind (die Autorin) den scheußlichen Anblick nicht sehen muss. Aber die beiden bleiben auf dem Weg. Und schon fange ich an zu grübeln, wie hätte ich reagiert? Und ja ich hätte wohl einen anderen Weg genommen um meinem Kind den Anblick zu ersparen. Aber die Kleine hat keine Angst, im Gegenteil sie ist neugierig, wartet gespannt darauf den Hund zu sehen und ist froh als sie ihn endlich entdeckt. Sie versucht mit ihrem Vater (zu der Zeit 44 Jahre alt) über den „armen Hund“ zu sprechen und erhält eine für ihn ungewöhnlich lange Antwort:
Er ist nicht arm, er ist tot. Er spürt nichts. Ein toter Hund muß einem nicht leid tun. Er hat ausgespielt. Feierabend.
Und in Bezug auf Menschen hat ihr Vater dieselbe Einstellung. Auch von ihr ein Zitat aus dieser Situation:
Für mich hatte das Wort „tot“ nichts Bedrohliches. Es interessierte mich, machte mich neugierig.
Später lernen wir dann die 41-jährige Marion kennen, ihre Schwägerin, eine leidenschaftliche Raucherin, für die das Rauchen einer Zigarette ein echter Genussmoment ist und die sich wie folgt äußert:
Es macht mir nichts aus, mich umzubringen, mir ist egal, ob ich sterbe. Nicht, daß ich sterben möchte, aber es macht mir wirklich nichts aus – jedenfalls nicht genug, um mit dem Rauchen aufzuhören.
Wir werden sie später – an Krebs erkrankt – im Sterben begleiten.
Und wir werden den Vater begleiten, der zunächst noch alleine in seinem Haus wohnt, sich bemüht den Garten zu versorgen, aber immer mehr merkt: es geht nicht mehr.
Sein Drang zu leben war noch immer unglaublich stark – das Leben selbst für ihn noch immer kostbar-, aber ebenso stark war seine zunehmende Verzweiflung, es sich nicht weiterhin so einrichten zu können, wie er es immer getan hatte.
Ein ganz wichtiger Punkt, den wir als sorgende Angehörige gerne vergessen. Es ist sein Leben und er entscheidet und auch wenn nicht alles perfekt läuft, Hauptsache ist, dass er sich wohl fühlt.
Aber irgendwann kommt der Punkt, da geht es nicht mehr, kommt der Moment wo er in ein Pflegeheim zieht wo er auch später verstirbt.
Das Buch ist unglaublich ehrlich und offen geschrieben. Wir erleben die Autorin mit ihren Zweifeln, mit ihrem „nichtWollen“, mit ihrem „nicht so lieben können“ und mit ihrem Schmerz beim Sterben der Schwägerin und lernen dabei für uns unglaublich viel. Es ist ein Buch, das berührt, das sich aber trotz des ernsten Themas gut und flüssig liest und so auch ein Buch ist, das man Lesen kann, ohne sich bewußt mit dem Thema auseinandersetzen zu wollen. Ein Buch, das Ängste nehmen und auch mir, die sich schon viel und intensiv mit dem Thema Sterben auseinander gesetzt hat, noch neue Impulse geben konnte.
Danke, Margaret Forster!
Dieses so kostbare Leben
Margaret Forster
Arche Verlag
ISBN 3-7160-2296-9