Schreiben hilft
Vielleicht habt ihr alle schon einmal gemerkt, dass es hilfreich ist, sich Dinge von der Seele zu schreiben. Mir hilft es auf jeden Fall und so habe ich hier ein schönes Heft liegen, das meine Tochter mir geschenkt hat und in das ich unregelmäßig schreibe, was mich in der Trauer belastet oder mir auch Positives begegnet ist.
Mehrfach habe ich auch schon an jemanden, der verstorben ist, einen letzten Brief geschrieben, um damit Abschied zu nehmen. Der Schreibprozess an sich tut mir jedes Mal gut. Es schließt sich die Überlegung an, was man dann damit macht.
Man kann den Brief an einen Verstorbenen danach aufbewahren und vielleicht später noch einmal lesen – man kann ihn und die Gedanken auch ganz bewusst loslassen. Dazu könnte man ein Ritual finden und den Brief vielleicht verbrennen, zerreissen und dann verstreuen, mit einem Luftballon aufsteigen lassen oder ihn sogar mit ins Grab geben.
Der nie geschriebene Brief
Bei einem Trauerseminar habe ich die folgende hilfreiche Übung kennen gelernt. Die Seminarleiterin Simone Osteroth nannte diese „Der nie geschriebene Brief“ und ja, es geht um die nie gesagten Worte.
Der Grundgedanke
Es geht darum, etwas aufzuarbeiten, was noch zwischen dir und der verstorbenen Person steht. Das soll dann aber nicht nur aus der eigenen sondern auch aus Sicht der verstorbenen Person betrachtet werden. Hier geht es also zusätzlich zu der befreienden Wirkung des Schreibens an sich vor allem um den Perspektivwechsel.
Wenn ich mir die eigentliche Aufgabenstellung heute noch einmal ansehe, würde ich sie heute anders interpretieren. Wie ich es für mich umgesetzt habe, stelle ich euch hier vor.
Beim Schreiben kommt natürlich wieder viel hoch und es ist völlig normal, wenn hierbei die Tränen fliessen. Lasst es zu und nehmt es so an, wie es kommt. Vielleicht rufen diese Briefe aber auch positive Gefühle hervor und bringen euch sogar zum Lachen. Alles ist möglich.
Geht aber bitte behutsam daran. Solltest du merken, es tut dir gerade nicht gut, brich ab. Diese Übung soll dir ja helfen und nicht zusätzlich runterziehen. Spüre, wann der richtige Moment dafür da ist.
Mir hat sie auf jeden Fall sehr sehr gut getan.
Die Aufgabe
Es geht darum in einem Zeitfenster von jeweils maximal 15 Minuten unmittelbar hintereinander vier Briefe zu schreiben. Rein intuitiv, ohne viel zu denken; einfach loslassen, was einem auf der Seele brennt, das rauslassen, was man dem anderen nie gesagt hat, aber jetzt noch gerne sagen oder fragen würde.
Brief 1
richtet sich an den Verstorbenen in direkter Anrede. Hier geht es darum, über Gedanken zu schreiben, die man diesem nie anvertraut hat. Ihm jetzt zu sagen, wie man sich in manchen Situationen gefühlt hat. Ehrlich und direkt.
Brief 2
Wir schreiben nun auf unseren ersten Brief eine Antwort aus Sicht des Herzensmenschen. Hier findet also der erste Perspektivwechsel statt. Hierbei braucht man nicht nur auf das antworten, was uns in Brief 1 bedrückt hat, kann dieses noch ergänzen mit dem, was der Verstorbene uns vielleicht noch gerne gesagt hätte.
Brief 3
geht an die Wunschperson. Wir stellen uns nun also den Verstorbenen als den perfekten Menschen vor und übertragen die Situation von Brief 1. Diese wäre dann natürlich anders verlaufen, weil der pefekte Mensch anders reagiert hätte – vielleicht hätte es die beschriebene Situation dann so gar nicht gegeben. Auch hier geht es dann um unsere Gefühle dabei.
Brief 4
geht an die emotionale Person aus Brief 1 und wird geschrieben aus Sicht einer neutralen Person. Diese Person ist also so ein wenig Schiedsrichter, muss aber nicht vorsichtig sein, sondern darf uns schon ordentlich den Kopf zurechtrücken.
Vorbereitung
Such dir einen passenden Ort, an dem du dich wohl fühlst. Nimm dir einen Lieblingsstift, schönes Papier und vergiss die Taschentücher nicht. Für hinterher oder nebenbei vielleicht ein paar Riegel Schokolade, Gummibärchen oder was du gerne magst und denk auch an ein Getränk.
Bei mir war die Gier nach Schokolade im Anschluss an diese Übung riesig. Zum Glück war die Seminarleiterin auch hierauf vorbereitet :-).
Nur Mut
Es klingt vielleicht erst einmal furchtbar aufwendig, vier Briefe zu schreiben und dafür eine Stunde zu investieren, aber diese Stunde ist so wertvoll, ist ein Geschenk, das du dir machst! Es lohnt sich. Ich nehme schonmal vorweg, dass ich früher fertig war und mir die Zeit überhaupt nicht lang vorkam.
Fang einfach an!
Wie immer du es durchführst, ist es richtig, ist es dein Weg.
Ausblick
Da ich dich mit meinen Briefen nicht beeinflussen will, habe ich diesen Beitrag hier geteilt. So erzähle ich erst nächste Woche, wie es für mich war diese Briefe zu schreiben.
Diese Übung kann unabhängig von der Trauer auf andere Lebenssituationen übertragen und wiederholt werden. Mit zeitlichem Abstand ist das Thema vielleicht anders …