Hafen von Greetsiel, Fischkutter
Der Hafen von Greetsiel, ein Ort, den Klaus ganz besonders geliebt hat.

Das „Wir“

Über viele Jahre – bei uns waren es 40 – gab es das „Wir“. Wir waren eine Einheit, wir haben unser Leben gemeinsam gestaltet, gemeinsam gelebt, gekämpft, geliebt. Wir sind dabei Kompromisse eingegangen, haben Wege gefunden, die für uns beide tragbar waren. Die Aufgaben wurden geteilt und unser Leben hat funktioniert, weil jeder seinen Anteil daran hatte.
Der Anteil des „Wir“ ist natürlich in allen Partnerschaften unterschiedlich. Bei vielen gibt es zahlreiche Unternehmungen des Einzelnen, die ohne den Partner statt finden und es gibt die Fernbeziehungen. Doch trotzdem kommt man immer wieder im „Wir“ zusammen, hat man sich bewusst für das „Wir“ entschieden.

Da bleibt nun nur noch das „Ich“

Und plötzlich steht man alleine da. Das gemeinsame Sein ist zu Ende.
Lange hat das „Wir“ das Leben bestimmt, jetzt gibt es das „Wir“ nicht mehr, man bleibt alleine zurück …

Bei mir war da ganz schnell der Gedanke: Ich muss das „Wir“ zurücklassen. Ich muss jetzt klar kommen, ich muss jetzt einen Weg finden mein Leben zu leben.
Nach fast 40 Jahren „Wir“ gab es nun nur noch mich. Ich musste jetzt gucken wie es weiter geht, wie ich das überstehen, wie ich weiterleben konnte. Ein Leben das definitiv anders sein würde.
Da ich früh geheiratet habe, war ich nun zum ersten Mal im Leben alleine.

Überall seine Spuren

Ich habe dann auch sehr schnell begonnen Sachen von meinem Mann zu verbannen. Nein, ich wollte nicht jedes Mal im Bad seiner Zahnbürste begegnen, nicht die Dinge im Wohnzimmer haben, die mich schmerzhaft erinnerten.

Ok, die Zahnbürste ist tatsächlich gleich im Müll gelandet, die anderen Sachen erstmal in einem Karton. Nach kurzer Zeit habe ich sie wieder rausgeholt. Ja, es war schmerzhaft sie zu sehen, aber so war er wenigstens noch ein Stück weit bei mir. Schmerzhaft war die Situation ja eh.

Trotzdem habe ich darum gekämpft, Klaus irgendwie aus meinem Leben zu bannen, versucht damit irgendwie dem Schmerz zu entfliehen. Es gab jetzt für mich kein „Wir“ mehr, es gab jetzt – so weh es auch tat und so schwer es auch war – nur noch mich. Dieser Kampf hat mich sehr viel Kraft gekostet und wahrscheinlich kann den nur jemand nachvollziehen, der mal in einer ähnlichen Situation war.

Das „Wir“ bleibt

Dann aber habe ich auf einem mehrtägigen Trauerseminar eine wunderbare Frau getroffen. Ich habe sie trotz ihrer Trauer in sich selbst ruhend und liebend mit ihrem Mann verbunden erlebt. Sie hatte eine ganz besondere Ausstrahlung, ein ganz besonderes Lächeln, wenn sie voll Liebe von ihm und ihrer gemeinsamen Zeit sprach und ja, irgendwie war ich neidisch.
Ich hab mich dann geäußert zu meinem Kampf, gesagt, dass man ja jetzt sein eigenes Leben leben und den Verstorbenen irgendwie loslassen muss und sie hat mir dann – wofür ich ihr so dankbar bin – widersprochen und ihre andere Sicht dazu kund getan.

Ihre Worte kann ich leider nicht mehr wörtlich wieder geben, aber sinngemäß hat sie es so formuliert:

„Das „Wir“ ist doch immer noch da und wird immer bleiben. Wir sind doch weiterhin in Liebe verbunden.
Ich lebe jetzt unser Leben weiter, lebe für ihn mit.“

Wow, das hat mich zunächst erschlagen, habe ich spontan sogar abgelehnt, aber nachdem ich in Ruhe darüber nachgedacht hatte, war diese Sichtweise ein großes Geschenk für mich. Ich musste nicht mehr kämpfen. Durfte Klaus nicht nur in meinem Herzen, sondern auch in meinem Leben behalten.

Welch schöner Gedanke: das Leben für den Verstorbenen mitzuleben.
Ja, das hat mir die Trauer leichter gemacht.

Gedankenanstösse von aussen

So kann ein einfacher Gedankenanstoss, manchmal viel bewegen. Deshalb finde ich den Kontakt zu anderen Trauernden so wichtig. Auch das Lesen von Blogs und von Trauerbüchern bringt einen so weiter, auch wenn dann von anderen vielleicht kommt: „Du darfst dich nicht soviel damit befassen, musst nach vorne schauen.“
Die Trauer ist doch eh da … Also besser man stellt sich ihr gezielt.
Man bekommt Impulse und pickt sich das raus, was für einen gerade passt. Auch das Ablehnen von Gedanken hilft einem weiter, weil man klarer sieht, was den eigenen Weg ausmacht.

Wie sehe ich das heute?

Es ist eigentlich wie so oft im Leben eine Mischung aus beidem. Klar, da ist jetzt das „Ich“. Ich muss mein Leben neu strukturieren, neue Dinge angehen, weiter leben. Das Leben, das wir gemeinsam geführt haben gibt es so nicht mehr und insbesondere was das Reisen angeht, kann ich da – leider – nicht so weiter machen, wie wir es gemeinsam konnten.
Ich bin jetzt in einem Chor, suche neue Kontakte, aber das geht mit der neuen Sichtweise entspannter. Ich bin mir sicher, Klaus hat mir zugelächelt als ich bei meiner ersten Probe war. Er mochte nicht, wenn ich gesungen habe, aber ich glaube daran, dass er sich über meinen Chorbeitritt gefreut hat.
Klaus hat auch meinen Umzug gewollt und begleitet (den Schlüssel der neuen Wohnung habe ich an seinem Geburtstag bekommen) und ist mir gerade in entscheidenden Momenten ganz ganz nah. Das ist so tröstlich, so hilfreich, so schön und so traurig.

Nein, ich lebe nicht unser Leben weiter, aber ich muss ihn nicht mehr aus dem Leben verbannen. In unserer Liebe bleibt das „Wir“ und wenn ich seine Nähe besonders brauche, öffne ich die Schatzkiste mit seinen Sachen und bin ganz im „Wir“ – wenn auch nur in der Erinnerung.

Dieses „Wir“, das ich bei ihr im Trauerseminar erleben durfte war wunderbar, hätte ich so aber nie übernehmen können. Das war nicht mein Weg.
Nur im „Wir“ weiter zu leben, hätte für mich Stillstand bedeutet, mir nicht in meiner Trauer weiter geholfen. So gehe ich nun meinen Weg, von Klaus irgendwie begleitet, bei dem ich weiter lebe und das „Wir“ aber weiterhin in meinem Herzen bleibt.
Denn die Liebe währt ewig.