Es ist ein lustiger Zufall, dass mein Septemberbuch im Jahr 2016 ein Mitgebrachtes war und das Buch im September 2018 ebenfalls … Jeden Monat ein Buch aus einem anderen Bücherschrank, da bin ich dankbar für ein wenig Unterstützung. Diesmal haben mir meine Eltern ein Buch aus dem Bücherschrank in Bad Soden mitgebracht, wo sie unterwegs waren. Es soll sehr schön dort sein.
Sie schickten mir ein Foto vom Buch und ich war etwas besorgt, ob das wohl das richtige für mich ist …
Stadt des Schweigens
Journalistin Avery kehrt nach dem Tod ihres Vaters in ihren Heimatort Cypress Springs zurück, eine Kleinstadt in der Nähe von New Orleans. Kurz vor seinem Tod hat ihr Vater sie noch angerufen, aber sie war gerade auf dem Weg zu einem Informanten. Sie bereut sehr, ihn nicht mehr gesprochen zu haben. Ihr Vater hat scheinbar Selbstmord begangen, aber das kann Avery nur schwer glauben. Während seiner Totenwache wird die Leiche einer jungen Frau gefunden …
Der Thrill-Faktor
Brutale Szenen – egal ob physisch oder psychisch – sind für mich nur schwer zu ertragen. In Filmen und Serien kann ich die Augen schließen, im Buch ist es schwieriger, die Stelle zu überfliegen, aber die relevanten Informationen mitzunehmen. Daher meide ich das Genre Thriller. Und auch bei „Stadt des Schweigens“ wollte ich bereits im Prolog abbrechen.
Der sogenannte „Vollstrecker“ lauert einer jungen Frau auf und verpasst ihr eine Warnung. Bei dem, was er ihr androht feuern meine Spiegelneurone fröhlich und ich folge dem Bedürfnis das Buch zu schließen … Einen Tag später bringe ich den relativ kurzen Prolog zu Ende und entscheide mich dazu, der Geschichte eine Chance zu geben. Vielleicht ist ja nur der Prolog so fies. Ich greife mal vorweg und bestätige euch: so war es und ich habe das Buch bis zum Ende gelesen, immerhin 444 Seiten.
Tatsächlich sind Gewalt und Sex im Buch sehr knapp dargestellt, geben wenig Raum für Kopfkino und Emotionen. Nur am Ende wurde es noch einmal kurz unangenehm. Die Neugier, was und wer hinter allem steht, ließ mich weiter lesen. Habe dabei über eine Woche gebraucht, die Spannung ließ sich sehr gut aushalten, das Buch problemlos unterbrechen. Die kurzen Kapitel luden sogar dazu ein.
Kleinstadtmenschen
Gleich im ersten Kapitel bekomme ich eine gute Vorstellung von Avery. Mit ihr kehren wir nach Cypress Springs zurück und lernen all die mehr oder weniger liebenswerten Kleinstadt-Menschen mit ihren Macken kennen. Es droht keine Gefahr sie zu verwechseln, die Macken sind so eindeutig verteilt.
Es scheint in der Absicht der Autorin zu liegen, sowohl das Südstaatenleben und das amerikanische Kleinstadtleben deutlich herauszuarbeiten. Südstaatenleben bedeutet in diesem Falle konservative Ansichten hinsichtlich der Rollenverteilung zwischen Mann und Frau. Frauen sollen auf keinen Fall „männliche“ Berufe wählen. Es bedeutet auch den Besitz von Schusswaffen.
Die Kleinstadt liegt in der Nähe von New Orleans, die Großstadt, die als Kontrast zum moralischen Kleinstadtleben steht. Moral, Anstand und brave Hausfrauen sind vorherrschende Werte. Die Geschichte spielt übrigens 2002/2003, ist schon ein wenig her, aber immer noch in diesem und nicht im letzten Jahrhundert. Es scheint, dass gerade das Kleinstadtleben und die Abschottung von Außen, radikale Ansichten fördert. Modernisierung wird ausgeblendet und bekämpft. Als in den 80ern eine Konservenfabrik an den Stadtrand gebaut wurde und zahlreiche Menschen in die Stadt zogen, um dort zu arbeiten, gab es eine große Krise in der Stadt. Das Chaos hielt Einzug, die Ordnung musste wiederhergestellt werden.
Man kennt sich in der Kleinstadt, der eigene Ruf ist wichtig. Doch wer von diesen anständigen Menschen hat die Überzeugung so weit getrieben der Vollstrecker zu werden, um für Ordnung zu sorgen?
Fazit
Es war eine interessante Lektüre, die einen interessanten Blickwinkel auf Moral und Extremismus wirft. Das Ende war ein zugleich verrücktes, aber auch würdiges Finale für die Geschichte. Entgegen meiner zunächst skeptischen Erwartungen habe ich es dann doch mit großem Interesse gelesen.
Einen Kritikpunkt möchte ich noch anbringen: Auf dem Klappentext wird etwas verraten, was meiner Ansicht nach zu viel ist!
Ich wünsche allen, die es nach mir lesen werden ebenfalls interessante Lesemomente!
Stadt des Schweigens
Erica Spindler
Aus dem Amerikanischen von Margret Krätzing
Mira Taschenbuch, 2011
ISBN: 978-3-89941-858-3