Aus dem Junibuch wurde ein Juni-/Julibuch. Das lag nicht daran, dass ich wie so oft erst spät angefangen hätte zu lesen. Es war ein mitgebrachtes Buch, das bereits auf mich wartete und ich tatsächlich bereits am 5. Juni begonnen habe. Es hat allerdings 500 Seiten und ist gewiss keine leichte Lektüre.

Der Bücherschrank

Das Buch stammt aus Greetsiel, wo meine Eltern Urlaub gemacht haben. Dort steht eine ganz besonderer öffentlicher Bücherschrank, eingebaut in den Glockenturm.

Bücherregal im Glockenturm in Greetsiel
Bücherregal im Glockenturm in Greetsiel

Historische Romane

Hin und wieder lese ich gerne historische Romane. Früher habe ich mal geglaubt, man könne aus historischen Romanen etwas lernen. Inzwischen sehe ich das anders. Es braucht ein gewisses Grundwissen über den historischen Kontext, um ein Buch dieser Epoche zu lesen. Daher funktionieren wahrscheinlich Bücher zu Zeiten der französischen Revolution und dem Mittelalter gut. Diese Themen stehen auf dem Lehrplan und eine gewisse, wenn auch teilweise diffuse Basis ist vorhanden. Während des Lesens können wir uns wieder erinnern und die Handlung entsprechend einordnen.

Doch was ist mit historischen Romanen, die in Ländern oder Zeiten spielen, über die wir wenig wissen? Wenn es um Ereignisse geht, von denen wir wenig bis gar keine Ahnung haben?

Ich glaube weiterhin daran, dass wir etwas aus historischen Romanen lernen können. Ich glaube ebenfalls, dass es gut recherchierte und geschriebene Bücher gibt, die uns auch ohne Vorwissen in andere Zeiten mitnehmen.

Allerdings gibt es auch Romane, die einfach Vorwissen voraussetzen. Dummerweise steht das nicht auf dem Klappentext. Doch im digitalen Zeitalter ist es kein Problem, sich ein paar Fakten anzulesen, um die Geschichte einordnen zu können.

Interessanterweise ergeht es mir nun schon zweiten Mal mit einem irischen Roman so. „Ich schreib dir sieben Jahre“ ist nicht einmal ein historischer Roman im eigentlichen Sinne, bezieht sich allerdings auf Ereignisse im Nordirlandkonflikt.

Flüstern im Wind ~ Mary Ryan
Flüstern im Wind ~ Mary Ryan

Flüstern im Wind

Mary Ryan entführte mich ins Irland von 1920. Sie erzählt mir die Geschichte von zwei Frauen Kitty und Eileen und ich bin dankbar, dass ich ungefähr 100 Jahre später lebe. Mir wird bewusst, wie gut ich es als Frau in unserer Zeit habe. Die Freiheit zu entscheiden, wen ich lieben möchte und über meinen Körper selbst bestimmen zu dürfen. Für eine Schwangerschaft nicht verurteilt zu werden. Gut, insbesondere im letzten Punkt weiß ich selbst, dass nicht alles gut ist und es noch viele Menschen mit antiquierten oder einfach bescheuerten Ansichten gibt, aber wir sind auf einem guten Weg. Es ist ja auch noch nicht so viel Zeit vergangen. Andererseits gibt es merkwürdige, leider auch politische (es fällt mir schwer im Kontext der blauen Partei dieses Adjektiv zu verwenden) Bestrebungen gibt, Frauen wieder an Heim und Herd zu bannen.

Zurück zu Kitty und Eileen. Mit Kitty erleben wir das Eheleben mit seinen Verpflichtungen, unerfüllten Sehnsüchten und der großen Langeweile. Sie erleidet eine Fehlgeburt, die sie zum Glück gut übersteht. Von ihrem Mann wünscht sie sich beachtet und ernst genommen zu werden. Ob sie einander wirklich lieben? Es ist interessant zu lesen, wie sie beide aus ihrer Perspektive ihre Liebe zum anderen sehen, es aber nicht zeigen können. Eine andere Form der Liebe entdeckt Kitty zu einem anderen Mann, was sie die Liebe gänzlich in Frage stellen lässt …

Eileen ist in einem Waisenhaus aufgewachsen und erhält eine Anstellung bei Kitty und ihrem Mann. Bevor sie das Waisenhaus verlässt, ermahnt die Nonne sie, sich auf keinen Fall mit einem Mann einzulassen. Ihr wird der Ort gezeigt an den solche Mädchen kommen, um ihre Kinder zu gebären. Eileen ist fleißig und sehr bemüht anständig zu bleiben. Tommy, der ebenfalls im Haus lebt und arbeitet, gefällt ihr.

Der historische Kontext der Geschichte ist Irland im Jahre 1920. Wir befinden uns in der irischen Provinz Tubercullen, während einige Szenen in Dublin spielen. Die Provinz scheint fiktiv zu sein, bei der Recherche finde ich nur diesen Roman. Damals ist Irland ein Teil des Britischen Empire und wir erleben wie der Kampf um die Unabhängigkeit Irlands auf dem Land geführt wird.

Kittys Mann Leonard und Tommy sind bereit für Irland zu kämpfen. Sie schließen sich mit anderen Männern der Gegend zusammen, sammeln Waffen und trainieren im Wald. Davon ahnt Kitty lange nichts. Eileen dagegen gerät bereits früh mitten rein. Tommy wird bei einer Aktion verwundet, versteckt sich im Haus, als „die Braunen“ kommen. Einer von ihnen hat schon länger ein Auge auf Eileen geworfen und es kommt zu einer verzwickten Situation, so dass sich die Frage stellt, ob sie ihn ermuntert hat, um Tommy zu schützen oder ob er sie nicht auch ohne die kleine Geste vergewaltigt hätte. Diese Szene verändert Kittys Leben vollkommen. Sie ist vollkommen allein damit, bis sie sich der Schamanin anvertrauen kann …

Schwierige Lektüre

Die ersten Kapitel habe ich in kleineren Einheiten gelesen, während ich die zweite Hälfte des Buches innerhalb weniger Tage durch hatte. Es fiel mir schwer mich auf die Geschichte einzulassen, emotional und inhaltlich. Nachdem ich ein wenig recherchiert hatte, fiel es mir leichter die Ereignisse einzuordnen.

Doch der Schreibstil des erstmals 1990 erschienen Romans blieb bis zum Ende für mich anstrengend. Mitten im Abschnitt wechselt Mary Ryan die Perspektive und manche Seite habe ich doppelt gelesen, um zu verstehen, wer was getan hat und was genau die Personen beabsichtigen.

Fazit

Es war eine bedrückende Lektüre mit einigen schwierigen Szenen, Vergewaltigung und Folter, welche doch relativ kurz gehalten sind. So froh ich bin, dass die Ereignisse in die Vergangenheit gehören, so sehr weiß ich auch, dass es für viele Menschen heute auch nicht viel besser ist und das ärgert mich!

Das Buch hat mich recherchieren und lernen lassen. Es hat mich dankbar und nachdenklich gemacht.

Wie ergeht es euch? Was fasziniert euch an historischen Romanen?

Habt ihr das Gefühl aus historischen Romanen etwas über die historischen Ereignisse lernen zu können oder ist es eher die Faszination, Geschichten vor einer anderen archaischen Kulisse zu lesen? Empfindet ihr nach dem Lesen auch Dankbarkeit für die eigenen Lebensumstände?

Jeden Monat lese ich ein Buch aus einem anderen öffentlichen Bücherschrank. Anschließend lasse ich das Buch wieder frei, gebe es persönlich weiter oder stelle es in einen anderen Bücherschrank. Jedes Mal lege ich einen Brief mit dazu. Eine Übersicht der bisher besuchten Bücherschränke seht ihr hier.


Flüstern im Wind
Mary Ryan
Aus dem Englischen von Günter Löffler
Knaur Taschenbuch, 2004
ISBN: 2 426 62630 6