Die Suche nach dem Augustbuch
Es waren Sommerferien, ich hatte ein paar Tage Urlaub und die Suche nach dem Augustbuch sollte mit einem Ausflug verbunden werden. Eigentlich sollte es auch keine komplizierte Suche werden …
Diesmal habe ich mir selbst eine Bedingung für das Buch ausgedacht: Es sollte lila sein.
Ja, manchmal habe ich verrückte Ideen.
Zusammen mit meiner Tochter fuhren wir mit dem Bus zum Bonner Bogen. Den Bücherschrank haben wir auch recht schnell gefunden, er steht direkt am Rhein. Ein lilafarbenes Buch stand auch darin: Microsoft Excel 1997 …
Nein, Danke!
Gemeinsam haben wir nochmal gründlich beide Seiten abgesucht: Kein lilafarbenes Buch, sehr wenig Auswahl, eigentlich überhaupt kein interessantes Buch. Ein anderer Besucher des Bücherschrankes verließ diesen ebenfalls ohne Buch.
Inzwischen sollte sich das geändert haben. Die liebe @bonntouren hat sich auf jeden Fall schon mal darum gekümmert.
Liebe @kleiner_komet der Bücherschrank ist am #BonnerBogen wieder voll. Ich hoffe es sind Bücher dabei, die dir interessieren 🙂
Der Plan war am Rhein entlang nach Beuel zu laufen, wo ebenfalls ein Bücherschrank steht … Das Wetter war warm, aber bewölkt, also nicht zu heiß, genau richtig für einen Spaziergang am Rhein und eine kleine Pokemon Go Jagd. Zwischendurch haben wir eine kleine Lesepause auf einer Bank eingelegt.
In Beuel fanden wir dann einen volleren Bücherschrank. Allerdings leider auch kein lilafarbenes Buch. Während wir da waren, kam eine Besucherin mit einer Büchertüte und füllte den Schrank auf. Ich bin nicht sicher, ob mein Buch von ihr war, aber ich habe eines gefunden, das im weitesten Sinne lila ist. Meine Familie sagt zwar es sei eindeutig blau, aber über Farben kann man ja erfahrungsgemäß lange diskutieren.
Die Story
Auszug aus dem Klappentext:
Ein arabisches Land nach der Erringung der Unabhängigkeit: Sechs Menschen erzählen aus ihrem Leben. Ihre Wege kreuzen sich, ihre Stimmen treffen aufeinander und vermischen sich mit jener der alten Amme Oumi, die über einen unerschöpflichen Vorrat an unsterblichen Märchen verfügt.
Zitat des Le Figaro Littéraire auf dem Klappentext:
Verheimlichte Wünsche, Heuchelei der Sitten, hinterhältige Macht der Tradition – all das beschreibt die Autorin in einer Geschichte, in der die Poesie der Kindheit als der einzige Ausweg erscheint.
Die Autorin
Die Autorin nennt sich nur Syrine, kein Vor- und Nachname. Daher waren Recherchen über sie sehr schwierig. Gerne hätte ich ein Interview mit ihr gelesen, um die Geschichte für mich besser einordnen zu können. Folgende Beschreibung steht vorne im Buch:
Syrine wurde in Tunesien geboren und hat ihre Heimat erst mit siebzehn verlassen, um sich in Paris niederzulassen. Sie war bisher im Kulturbereich tätig und widmet sich heute vor allem dem Schreiben.
Meine Gedanken zum Buch
Das Buch liest sich zu Beginn sehr gut als fiktiver Roman. Dennoch steckt sehr viel Wahrheit darin, fürchte ich. Auch wenn der Roman bereits 1998 in der Erstauflage erschienen ist, wirkt der Roman auf mich eher aktuell als altmodisch, obwohl aus meiner europäischen Sicht einige Verhaltensweisen der Frauen auf mich doch recht altmodisch wirken…
An manchen Stellen, muss ich mich echt zusammenreißen, überhaupt weiter zu lesen, denn die Autorin ist schonungslos. So erfahre ich, dass beim Opferfest das Blut des Lammes getrunken wird. Die jüngere Schwester tut dies mit Genuss, während mir beim Lesen übel wird.
Eine Aussage lese ich ganz klar heraus: Kultur und Tradition lässt sich nicht per Gesetz ändern.
Frauen können nicht einfach ihre Rechte einfordern, ohne ihrer Familie Schande zu bereiten.
Die arabische Kultur ist stark durch den muslimischen Glauben geprägt. Die Frauen im Roman folgen den muslimischen Traditionen, während nicht alle von ihnen auch gläubig sind.
Neben den Geschichten der Frauen wird auch deutlich, wie schwierig es für die jungen Männer ist, mit der langsamen Modernisierung und dem erwachenden Selbstbewusstsein der Frauen umzugehen. Wenn sie nur die unterwürfigen traditionellen Frauen kennen mit denen sie groß geworden sind, wie sollen sie eine selbstbewusste junge Frau behandeln, wie ansprechen, wie eine Ehe führen?
Hierauf hat sie niemand vorbereitet.
Es ist ein Prozess der Veränderung, den sowohl Frauen als auch Männer durchlaufen müssen. Diese Veränderungen benötigen Zeit, bis sie selbstverständlich in die Kultur eingehen werden.
Gesetzliche Regelungen können Meilensteine darstellen, unterstützen, einen Rahmen bieten, die Einstellungen der Menschen (beider Geschlechter) ändern sich dadurch nicht sofort. Insbesondere dann nicht, wenn die einzelne Person keine Möglichkeiten sieht, den neuen Rechten und Freiheiten der Frau entsprechend zu leben.
Dieses Dilemma beschreibt der Roman beispielhaft am Schicksal der jungen „Zhora die Unterwürfige“, die von ihrem Vater per Telefon informiert wurde, dass sein Cousin um Zhoras Hand angehalten habe. Es war beschlossene Sache.
Zhora die Unterwürfige hatte keine Antwort zu geben. Die Vorbereitungen waren schon längst im Gang. Der Vetter hatte ein wenig Geld und konnte Am Tahar dem Vater in seinem Geschäft helfen, um die Monatsenden aufzubessern. Außerdem war dieser Mann kein Unbekannter, er gehörte ja zur Sippe. Garantie ohne Sicherheiten. Sie sagte, dass sie gern einen Ehemann haben und nicht mehr arbeiten wolle wie bisher. Sie hatte Heimweh nach ihrem Dorf. Was könnte sie sich denn anderes erhoffen als einen Ehemann und den Segen der Familie? Sie wartete wie eine reife Frucht ungeduldig darauf, von der erstbesten gierigen Hand gepflückt zu werden.
Zusammen mit ihrem Ehemann und den Kindern lebt Zhora im Elternhaus, gibt vor glücklich zu sein und sehnt sich nach einem eigenen Haushalt. Stattdessen verliert ihr Ehemann die Achtung des Schwiegervaters …
Selbstverständlich gelten die beispielhaften Schicksale nicht für alle Frauen und es stellt keine vollständige Darstellung der arabischen Kultur dar. Diese ist gewiss ebenso vielfältig, wie jede andere auch.
Dennoch gibt der Roman Einblicke in die verschleierten Denkweisen von Frauen, die ihre traditionelle Rolle akzeptieren oder sich gegen diese auflehnen. Hoffnung und Trost finden sie in den Geschichten der alten Amme Omi.
In einem unterentwickelten Schulsystem gibt es zu wenige und schlecht augebildete Lehrer. Die Schwestern besuchen eine Schule in der Hauptstadt. Ihre eigene Mutter ist sogar berufstätig und verlässt ihre Familie für einige Zeit, um in der Provinz zu leben. Viele Jungen aus einfachen Verhältnissen schließen die Schule gar nicht ab.
Die Frauen im Roman lernen aus dem Fernsehen, wie eine Schwangerschaft verhindert werden kann. Der Zugang zu Verhütungsmitteln und zur medizinischen Versorgung ist allerdings noch ein ganz anderes Problem.
Vieles erinnert mich an die europäische Frauenbewegung Anfang des 20. Jahrhundert.
In einem Interview der Taz beschreibt die muslimische Feministin Amina Wadud den islamischen Feminismus:
Seit Beginn des 21. Jahrhunderts gibt es eine Alternative für muslimische Frauen, die sich nicht zwischen den Menschenrechten und dem Islam entscheiden wollen. Und es gibt einen Namen für das, was wir tun: islamischer Feminismus. Denn wir ziehen den Islam heran, um die Gleichwertigkeit von Mann und Frau ins Bewusstsein zu rufen. In den letzten zehn Jahren ist eine neue Dimension hinzugekommen. Es geht uns nicht mehr nur um Gleichberechtigung innerhalb der Gesellschaft, also im öffentlichen Leben, sondern auch um Gleichberechtigung innerhalb der Familie. Derzeit arbeiten wir sehr intensiv daran, unter anderem das Familienrecht zu reformieren. Es geht nicht darum, die Geschlechter einander anzugleichen, sondern Gleichberechtigung im öffentlichen wie im privaten Leben herzustellen. Wir wollen, dass Frauen die freie Wahl haben und dass diese Entscheidung respektiert wird – ganz egal ob sich Frauen beruflich engagieren oder zu Hause innerhalb der Familie. Das Bewusstsein der Vereinbarkeit von Islam und der Idee der Menschenrechte ist neu und die Zahl der Muslime, die das so sehen, wächst stetig.
Es ist ebenfalls sinnvoll, sich noch einmal bewusst zu machen, dass die Freiheiten, die wir als Frau in Europa heute genießen, nicht über Nacht erkämpft wurden und diese (noch) nicht weltweit für alle Frauen gelten.
Eine neue Entwicklung der Gleichberechtigung, zwischen Männern und Frauen bei uns – Männer nehmen Erziehungsurlaub – steckt selbst noch in den Kinderschuhen. Allgemeine gesellschaftliche Akzeptanz und Selbstverständlichkeit sind noch nicht erreicht, vor allem nicht bei den Arbeitgebern.
Fazit zum Buch
Ich bin mir sicher, dass ich nicht alles verstanden habe, auch wenn einige Begriffe im Glossar erläutert werden. Der Stil lässt sich gut lesen, aber ich vermute mehr Tiefe im Roman, die an mir vorbeigeht, da mir die Hintergründe fehlen.
Schwierig ist es für mich die Bedeutung des Buches einzuordnen, welche Aktualität die Geschichte heute hat und wie realistisch die Schicksale der Frauen tatsächlich sind. Leider waren meine Recherchen über das Buch und die Autorin erfolglos. Selbst auf der Verlagsseite konnte ich nichts finden. Eine Recherche auf französisch ist sicher erfolgreicher, aber dafür sind meine Sprachkenntnisse zu bescheiden, freue mich über Hinweise in den Kommentaren.
Das Ende fand ich furchtbar, mehr emotional, als literarisch. Da wurde ich mit einem bunten Strauß an Problemen konfrontiert, die unmöglich zu lösen scheinen.
Mein Augustbuch ist aus und hinterlässt Traurigkeit #Projektbücherschrank ein ernstes #Buch macht #nachdenklich #lesen #kleinerKomet
— Stephanie Braun (@StephKatBr) 24. August 2016
Das Buch hat mich auf jeden Fall zum Nachdenken gebracht und ich vermute, das war auch das Ziel der Autorin.