Bonnie Leben teilt in diesem Buch und auf Instagram Einblicke in ihr Leben mit dissoziativer Persönlichkeitsstörung, lesenswert um diese Störung im Ansatz zu begreifen.
Und warum solltest du das begreifen wollen?
Weil es wahrscheinlich viel mehr Menschen da draussen gibt, die von einer dissoziativen Identitätsstörung betroffen sind.
Weil Film und Literatur uns Bilder wie die von „Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ vermitteln, ein Stereotyp des gefährlichen Irren, was mit der Realität nichts zu tun hat!
Weil durch Kontakt mit einem Thema und betroffenen Personen, Stereotype und Berührungsängste abgebaut, sowie Verständnis aufgebaut werden kann.

Aufräumen mit Diagnosen
In vielen Köpfen geistern Ideen um eine gespalte Persönlichkeit herum, diese sind oft verbunden mit der Diagnose „Schizophrenie“.
Das Missverständnis hat möglicherweise etwas mit der sprachlichen Bedeutung zu tun, denn die Bezeichnung stammt aus dem griechischen und bedeutet „gespaltener Geist“. Die Wahrnehmung oder das Denken unterscheiden sich von der Realität, von dem, was andere Menschen wahrnehmen.
Während Betroffene einer Schozophrenie unter Psychosen leiden, Halluzinationen, also eine veränderten Wahrnehmung haben oder Wahnvorstellungen, Veränderungen im Denken, ist eine dissoziative Identitätsstörung etwas völlig anderes.
Eine dissoziative Identitätsstörung entsteht nach mehrfacher Traumatisierung in früher Kindheit und dem Jugendalter. Es ist eine Schutzfunktion des Systems.
Das Thema Trauma wurde bei der Neubarbeitung des ICD-Klassifikationssystems der Krankheiten berücksichtigt und differenzierter ausgearbeitet.
Die dissoziative Persönlichkeitsstörung definiert sich nach ICD-11 als:
Störung der Identität, charakterisiert durch zwei oder
mehr unterschiedliche Persönlichkeitszustände (“personality states”), verbunden mit deutlichen Unterbrüchen des Selbsterlebens und der eigenen Wirksamkeit.
Jeder Persönlichkeitszustand beinhaltet sein eigenes
Muster von Erleben, Wahrnehmen, Erfassen und Interagieren mit sich selber, dem eigenen Körper und
der Umgebung.
Eine Bonnie kommt niemals allein
Es ist für mich nur schwer vorstellbar, mir einen Körper mit verschiedenen Persönlichkeiten zu teilen. Vielleicht geht es dir auch so. Näherungsweise können wir uns vorstellen, dass wir verschiedene Anteile haben. Das psychologische Konzept des inneren Kindes ist inzwischen weit verbreitet. Und doch ist das absolut nicht dasselbe!
Da unser Vorstellungsvermögen an eine Grenze kommt, ist es so wertvoll, dass Menschen wie Bonnie Leben ihre Geschichte erzählen.
Für mich ist es auch beeindruckend, dass sie das tut, denn nach mehrfacher Traumatisiserung wäre es auch naheliegend, sich zu verstecken.
Bonnie Leben wurde im Jahr 2000 geboren und erhielt 2018 ihre Diagnose. Die einzelnen Persönlichkeitsanteile haben eigene Namen, ein unterschiedliches Alter und auch Geschlecht. Ihre Interessen und Fähigkeiten unterscheiden sich. Welche Anteile voneinander wissen ist ebenfalls unterschiedlich, wie auch die Häufigkeit, wann sie „vorne“ im Körper sind. Manche bleiben dauerhaft „hinten“.
Bonnie Leben nutzt dafür die Metapher des fahrenden Autos, eine Person sitzt am Steuer, andere fahren mit, rufen manchmal etwas zu, weitere sitzen im Kofferraum und bekommen wenig mit.
Die verschiedenen Anteile haben verschiedene Erfahrungen und auch verschiedene Aufgaben im System und für das System.
Bonnie ist der Name des Systems, sie sind viele, wie viele ist unbekannt. Das Buch und auch der Instagram-Account wird aus der Perspektive mehrer Innenpersonen erzählt. Sie sind die Bonnies und haben ihre eigenen Namen.
Diagnostik und Theapie
Eine dissoziative Identitätsstörung zu erkennen ist nicht leicht, auch für Fachkräfte nicht. Um so wichtiger finde ich es, dass wir mehr darüber wissen. Daher bin ich Bonnie dankbar für ihre Aufklärungsarbeit. Sie erzählt ihre Geschichte. Bei anderen kann es anders sein! Das dürfen wir dabei nicht vergessen.
Wir möchten auch nicht, das andere Menschen mit DIS unsere Videos sehen udn sich vergleichen. Dank einer Doku, in der versciedenen Persönlichkeiten klar zu erkennen waren, fühlten wir uns der Diagnose nicht zugehörig.
46, Seite 145
Jedes Trauma äußert sich anders, so auch die daraus entstehende Störung mit ihren Symptomen. Eine dissoziative Identitätsstörung ist komplex und indidviduell.
Als ich ehrenamtlich bei Krisenchat in der Chatberatung tätig war, sind mir auch Fälle begegnet und ich war froh um das professionelle Team. Eine hilfreiche Methode ist ein Tagebuch zu führen, so können die verschiedenen Anteile miteinander in Kontakt treten.
Wir brauchten jemanden, der uns auf unserem individuellen Weg begleitete, ganz egal, wohin der führen würde. Der Weg war nicht das Ziel. Das Ziel lag auf dem Weg.
Isa, Seite 116
Die Herausforderung in der Therapie ist, dass jeweils eine Person vorne sitzt, manchmal wechseln sie in der Therapie. Manche tauchen dort nicht auf, andere versuchen die Therapie zu verhindern, alles aus einem Schutzmechanismus heraus.
Wir trugen eine tickende Zeitbombe in uns und wussten nicht, was sie zünden würde. Das war die Gefahr, die uns in der Therapie immer eiskalt im Nacken saß. Wir durften nicht stehen bleiben, aber auch nicht auf die falschen Stellen treten.
Alice, Seite 130
Das Therapieziel ist nicht, das System zu einer ganzen Persönlichkeit zusammen zu führen, sondern mit allem zu arbeiten was da ist. Es geht darum, mit der Störung zu leben, sie zu verstehen und zu schauen, was die einzelnen Personen und das System braucht.
Was kann helfen?
Das Thema Trauma ist komplex und es kann so viele betreffen. Es passiert viel im Bereich Kinderschutz und noch immer ist unser System überlastet. Vieles wird nicht gesehen.
Aufklärung und ein Bewusstsein in der breiten Bevölkerung kann helfen, Kinder zu schützen und es Täter*innen schwerer zu machen.
Ein Vorschlag aus Bonnies Buch:
Was helfen kann ist frühzeitige Aufklärung. Wenn Kinder die richtigen Begriffe für ihre Geschlechtsteile kennen, finden sie vielleicht eher Worte für das, was mit ihnen gemacht wurde.
Delia, Seite 196
Was genau Bonnie wiederfahren ist, erfahren wir nicht. Sie muss sich auch selbst schützen. Es scheinen mehrere Personen involviert zu sein und die Lage scheint auch rechtlich komplex zu sein. Es ist leider nicht so einfach Täter anzuzeigen und dann in Sicherheit zu sein.
Sich öffentlich zu äußern ist daher auch nicht einfach. Es gibt Widerstand aus verschiedenen Richtungen und es braucht viele Menschen, damit sich etwas ändert für viele, die wie Bonnie betroffen sind.
Deshalb brauchen wir Menschen, die sich mit der Thematik befassen, ohne involviert zu sein. Ohne die, die aus eigener Erfahrung sprechen können, funktioniert es nicht. Doch ohne, die die sie hören und unterstützen, ebenfalls nicht.
Fiona, Seite 222
Was für mich ebenfalls unvorstellbar schwierig ist, ist das Vertrauen. Wem kann das System noch vertrauen? Können sie einander vertrauen?
Und auch da ist die dissoziative Identitätsstörung eine Chance, denn es gibt Anteile, denen es möglich ist zu vertrauen, die keine eigenen traumatischen Erfahrungen gemacht haben, die der Körper erlebt hat. Es gibt Anteile, die für das Trauma zuständig sind und so ist das System lebensfähig.
Was kannst du tun?
Lies das Buch, schau die Interviews an, folge Bonnie Leben oder anderen auf Social Media. Schau dich auch nach anderen Accounts um, denn 46 sagt selbst:
Für Veränderung, die nach wie vor nötig ist, um traumatisierte Menschen bedarfsgerecht zu unetrstützen, benötigt es erst einmal mehr Informationen, die für mehr Menschen zugänglich ist. Differenzierte Aufklärungsarbeit funktioniert nur, wenn das Thema aus mehreren Perspektiven beleuchtet wird.
46, Seite 235
Und das bezieht sich nicht nur auf Traumata, sondern auch auf alle psychischen Störungen. Aufklärung hilft zu einem besseren Verständnis. Besseres Verständnis hilft für bessere Unterstüztzung und kann auch dazu führen, dass Betroffene einen Weg ins Hilfesystem finden, um adäquate Hilfe zu bekommen.
Wie trage ich selbst dazu bei, zu helfen?
Meinen Beitrag zu mehr Aufklärung über mentale Gesundheitsprobleme leiste ich, indem ich darüber schreibe, als Psychologin und systemsiche Therapeutin Menschen direkt begleite und Menschen zu psychologischen Ersthelfenden ausbilde (MHFA-Ersthelfer).
Eine Bonnie kommt niemals allein – Mein Leben mit dissoziativer Identitätsstörung
Bonnie Leben
Heyne, 2024
ISBN: 9783453606951
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